Todesflirt
aufzubäumen, sein Gegner streckte den Arm aus, die Waffe zielte genau auf Maltes Stirn. Sie fixierten sich voller Hass, hatten alles um sich herum vergessen. Ohne nachzudenken, stürzte ich mich von hinten auf Torsten, riss seinen Arm in die Höhe, spürte seine Kraft, seinen Widerstand. Ein Schuss hallte durch den stillen Wald, ein Bruchteil absoluter Stille, dann zwitscherten die Vögel lauter, als ich je hatte Vögel zwitschern hören. Torsten rutschte von Malte herunter, versuchte, Kontrolle über seinen Arm zu gewinnen, den ich noch immer umklammerte, ich zog und zog, drückte den Arm nach oben und dann fielen wir nach hinten, er nach rechts, ich nach links. Malte hatte uns beide mit dem Fuß erwischt: Meine Hand, die schmerzte und pochte, aber auch seinen Arm, und der Arm war nach oben geflogen, als wolle er sich vom Körper losreißen, die Hand hatte sich geöffnet und die Waffe war weggerutscht.
Malte sprang auf, ebenso Torsten. Mit geöffneten Armen, in leicht gebückter Haltung begannen sie, einander zu umkreisen. Die Waffe lag zwischen ihnen auf dem Boden. Wie das schwarze Metall glänzte. Gleich würden sie sich danach bücken, ich krümmte mich zusammen, vergaß meine Hand und schnellte hoch zu einem Sprung, einem Satz, der mich genau vor der Waffe aufkommen ließ. Ich sah die Verwunderung in ihren Augen, als hätten sie mich vergessen. Kalt fühlte sich der Griff in meiner Hand an, wie schwer so eine Pistole war. Ich hatte keine Ahnung, ob ich mit dem Ding hätte schießen können – war sie gespannt, geladen, was musste ich tun? Torsten sah mein Zögern ganz genau, einen Moment nur blitzten seine Augen und in der Sekunde, in der ich begriff, dass er mir die Waffe entreißen würde, spürte ich wieder Maltes Fuß an meiner Hand. Ich ging mit seiner Bewegung mit, ich öffnete die Hand erst am höchsten Punkt der Bahn und die Pistole segelte unerreichbar durch die Luft, zwischen den Bäumen hindurch, bis sie mit einem weichen Plumps ins Moosbett zwischen den Wurzeln fiel.
Malte konnte sich als Erstes von diesem unendlich gedehnten Augenblick befreien und stürzte sich erneut auf Torsten. Im Nu hatten sie sich ineinander verkeilt, gingen zu Boden, hieben und droschen mit Fäusten aufeinander ein, mal der eine oben, mal der andere, mal hingen sie, kurze Zeit nach Atem ringend, ansonsten bewegungslos aufeinander, bis einer wieder Kraft schöpfte und die Prügelei weiterging. Ich rannte zur Tür der Hütte und schabte die Kabelbinder über die Kanten der spröden Holzbalken, als seien sie eine Säge. Es dauerte und dauerte. Das Geschrei und Gestöhne der Prügelnden hörte nicht auf. Erst jetzt bemerkte ich, wie finster es inzwischen war. Die Sonne musste schon untergegangen sein. Noch ein letztes Mal, noch ein Mal ratschte ich meine aufgeschürften Gelenke über die Kante – endlich waren meine Hände frei. Ich sah hinüber zu den Kämpfenden. Blutverschmiert waren sie beide – aber Malte lag längs auf dem Boden hingestreckt. Torsten hatte seinen Fuß auf Maltes Kehle gestellt, Malte umfasste Torstens Bein, aber man sah, dass er kaum noch Kraft hatte. Ich raste auf die beiden los, ich sprang regelrecht gegen Torsten und wir fielen beide der Länge nach hin. Der Schmerz des Aufpralls nahm mir kurz die Luft und dann spürte ich nur noch Torstens Fäuste.
Aber plötzlich waren da Lichtkegel, ganz nah, die meine Hände gelblich einfärbten und sein Gesicht. Und Stimmen und das Gebell von Hunden.
»Stehen Sie ganz langsam auf und heben Sie die Hände hoch«, sagte eine Stimme, die keinen Widerspruch duldete.
Juli ließ mich seit einer Stunde nicht los. Noch immer saßen wir in der geöffneten Tür des Krankenwagens, der bis zu der Hütte hinausgeholpert war. Beide hielten wir einen Plastikbecher mit dampfendem Pfefferminztee in Händen, hatten eine Decke über unseren Schultern liegen. Alles war ruhig. In mir war es ganz leise. Gleich würden unsere Eltern kommen und uns abholen. Die Sanitäter hatten unsere Handgelenke verbunden, eine Schramme auf meiner Wange mit Sprühpflaster behandelt, Juli eine Salbe auf die schmerzenden, wunden Füße geschmiert. Ihre ersten Fragen hatte ich den Polizisten beantwortet. Morgen würde es auf dem Präsidium weitergehen.
Die Polizei hatte den Bereich um die Hütte großzügig mit Absperrband gesichert. Überall gingen Beamte herum und untersuchten den Boden nach Spuren. Unsere Aussagen mussten schließlich anhand objektiver Beweise überprüft werden.
Torsten war
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