Todesflirt
nicht allzu schwer verletzt gewesen. Ein paar Kratzer, ein paar blaue Flecken. Man hatte ihn direkt zur nächsten Polizeidienststelle mitnehmen können. Malte dagegen war kaum bei Bewusstsein, als die Sanitäter und der Notarzt eintrafen. Auf einer Trage hatten sie ihn weggebracht. Seine linke Hand war heruntergerutscht, wippte leicht, als wolle er mir zum Abschied winken. Ich hatte mich abgewandt. Nur eine Blutspur zeugte davon, dass er hier gewesen war.
Juli richtete sich auf, ließ aber meinen Arm noch immer nicht los. Ihre Augen bewegten sich rasch hin und her, als folge sie aufmerksam einem Film. Sie hatte noch kein Wort gesagt.
»Tabea«, sagte sie nun und sie klang höchst konzentriert. »Ich bin schnell gelaufen.«
»Ja«, erwiderte ich. »Das hast du gut gemacht, Juli!«
»Immer gelaufen. Immer gelaufen. Aufs Helle zu. Einmal hat’s autsch gemacht.«
»Bist du umgeknickt?« Sie nickte.
»Is’ aber schon wieder gut. Tut nicht mehr weh.«
»Und was war da, wo das Helle war?«
»Da war der Wald zu Ende. Und eine große, große, große Wiese. Und ein Haus. Mit Licht an. Und einem Biergarten so wie bei uns. Da bin ich hin.«
Ein junger Polizist mit exzessivem Backenbart war zu uns getreten. Auch er hielt einen Becher Tee in den Händen.
»Der Anruf kam vom Golfclub Gut Thailing«, erzählte er dann und sah Juli aufmerksam an. »Die Wirtin vom Hofgut hat gesagt, da steht ein behindertes Mädel im Biergarten und schreit ›Hilfe‹. Keiner wusste, wo sie auf einmal herkam. Bis wir da waren, hatte sie sich schon ein wenig beruhigt. Immerhin konnte sie sagen, wie sie heißt und wo sie wohnt. Und dass ein Torsten sie festgebunden hätte in einer Hütte. Von Ihnen hat sie auch geredet. Dass die Tabi sie hätt befreien wollen, aber dann wäre der Torsten mit einer Pistole dagestanden. Und dann sei sie nur noch gelaufen, gelaufen. Das hat sie bestimmt zwanzig Mal wiederholt.«
Ich musste beinahe schmunzeln, zog Juli enger an mich.
»Ja, laufen kann die Juli«, sagte ich stolz. »Aber wie haben Sie uns dann mitten im Wald gefunden?«
»Wir haben die nächste Hütte aus Richtung Golfplatz kommend gesucht – der Förster hat uns geholfen.«
»Hast uns gerettet, gell, Juli«, meine Stimme war zittrig. Die ersten Bilder kehrten zurück. Die Waffe. Der Kampf. Die Fesseln. Die Angst zu ersticken.
»Hab dich gerettet«, sagte Juli und schmiegte ihren Kopf enger an meine Schulter.
»Tabea, Juli«, hörten wir da die aufgeregte Stimme unserer Mutter.
»Mama«, schrie Juli und stürmte auf sie los.
»Danke«, sagte ich im Aufstehen und schüttelte dem Polizisten die warme Hand.
14. Kapitel
Juli war es, die Malte im Krankenhaus besuchen wollte. Wir kamen direkt vom Polizeipräsidium, wo wir noch einmal genau die Abläufe des Tages wiedergegeben hatten. Wir hatten der Polizei den Film weitergeleitet, den ich Annika und mir auf unsere Computer geschickt hatte. Ein wichtiges Beweisstück, um Torsten Hammerschmidt endlich des Mordes an Robin Lüchow zu überführen. Ich berichtete von Torstens Drohung, uns seine Leute auf den Hals zu hetzen, wenn wir den Film der Polizei geben würden. Der Kommissar versuchte, mich zu beruhigen. Für ihn war das vor allem eine Drohgebärde. In München hatte Torsten zur hiesigen Naziszene wohl nur oberflächliche Kontakte. Ihren Erkenntnissen nach war er zwar bei ihnen untergeschlüpft, aber er war niemand, dem sie sich irgendwie verpflichtet fühlten. Und ob sich nun eine Hamburger Gruppierung fände, die das übernehmen würde, sei ebenfalls fraglich.
»In den Kreisen ist es mit der Kameradschaft ganz schnell vorbei«, erläuterte der Kommissar. »Der Typ verschwindet voraussichtlich erst mal für eine lange Zeit im Knast. Da interessiert sich keiner mehr für den. Warum sollte sich jemand für ihn die Finger schmutzig machen? Er hat doch nichts zu bieten.« Die Argumentation leuchtete mir ein – und dennoch, es blieb ein klammes Gefühl.
»Und Malte?«, fragte ich. Der Beamte bewegte vorsichtig den Kopf hin und her.
»Mal sehen, kann ich so aus dem Stehgreif nicht sagen. Vielleicht wird er wegen Unterschlagung eines Beweismittels angeklagt oder wegen Falschaussage. Soweit ich weiß, stand Hammerschmidt ja bisher nicht unter Verdacht. Ich kenne den Fall nicht näher. Jedenfalls ist laut Gesetz niemand verpflichtet, eine Straftat anzuzeigen.«
Mein Vater, der uns begleitet hatte, warf mir auf der Heimfahrt im Wagen prüfende Blicke zu. Als wir uns am Friedensengel vorbei das
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