Todesformel
halten.
Urs Bäumlin habe sich in seinem Unwillen gesteigert: Es sei doch, gelinde gesagt, ein ungewöhnlicher, seltsamer, rascher Abgang eines wichtigen Mitarbeiters. Niemand wolle sein Verschwinden bemerkt haben, niemand wisse Genaues über seinen Verbleib, keiner gebe Auskunft zu seiner Forschungstätigkeit. Unakzeptierbar sei, dass er zum Zeitpunkt seines Todes ein niemandem angekündetes Sabbatical angetreten haben soll. Für wie dumm werde denn die Polizei gehalten? Ganz besonders ins Auge gehe aber, dass Yorge Droz im Personalcomputer als Totalabgang ausgebucht wurde. Dieses totale Verschwinden sei clever eingefädelt worden. Niemand hätte es bemerkt, wäre nicht in der gleichen Woche Fred Roos erschossen worden.
Mattis Platen-Alt nannte Urs Bäumlins Ausführung abenteuerlich, hypothetisch. Er wünsche ihnen beiden sehr, sie könnten in absehbarer Zeit Resultate vorweisen. Sein Auftritt war beeindruckend. Wer nicht wüsste, dass das alles Erziehung und Schulung ist, könnte damit mit Leichtigkeit geblufft werden. Sven habe ein sehr schlechtes Gefühl gehabt, und zwar wegen der Augen von Matthis Platen-Alt. Auch wenn er lächle, da sei zuinnerst in den Augen etwas anderes, etwas erschreckend Kaltes – verrückt.
Im Eingangskorridor zur Forschungsabteilung hingen an den Wänden Großaufnahmen von Meret Platens Arbeiten, schwungvoll, großzügig und leicht. Die Originale hingen jeweils gleich daneben, kolorierte Federzeichnungen von Kleinstlebewesen. Die Größenverhältnisse und die Anordnungen auf dem Blatt stachen ins Auge. Es schien ihr Spaß gemacht zu haben, durch die Koloratur des jeweiligen Hintergrunds verblüffende Dimensionen hineinzuzaubern. So hatte sie gar nicht auf ihn gewirkt, eher hölzern, trocken, vertrocknet.
Meret Platen sei nicht im Haus. Sie habe sich krankgemeldet.
Sven scheint in Knut eine Vaterfigur zu sehen, seltsam. Er habe das alles erörtert und abschließend wie beiläufig bemerkt, Knut solle mit niemandem über den Fall reden, damit sei natürlich ›das Amt‹ gemeint. Das beziehe sich nicht auf mich, im Gegenteil, ich sei ja darauf angewiesen, möglichst viele Details zu erhalten.
Fantasiere ich jetzt, wenn ich denke, Sven sei zu Knut gekommen, damit dieser mir von Mattis Platen-Alts kalten Augen erzählt?
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Wegen ›Noëls Schulschwierigkeiten‹ ruft Benno an. Ich schlucke. Er hat es von Susanne und vom Schulleiter persönlich gehört, Noël soll zu Tests aufgeboten sein, Legasthenieverdacht? Benno ist echt besorgt. Wir müssen miteinander reden.
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Ich habe keine Zeit für auch nur den allerkleinsten Flirt, Mai hin oder her. Ich kann auch allein in ein Fitnesstraining gehen, in meinem schönen roten Dress. Ich habe mir eine Zehnerkarte geschenkt für das nächst liegende Center. Es weist eine Qualitätskontrolle aus, ist zumindest hygienisch. Ich muss bloß zusehen, mit niemandem zu plaudern, nicht an der Getränkebar zu verweilen, auch nicht im Center zu duschen, dann sollte die Mittagspause ausreichen. Einmal pro Woche am Mittag muss einfach drin liegen.
6
AUS ALJAS GARTEN: Endlich stehen die täglichen Gartenarbeiten an: Pflanzen, gießen, wässern, wo nötig, schneiden, jäten, putzen, mulchen, abdecken, Schädlingsbekämpfung. Praktisch ist, die verschiedenen Arbeiten nach dem Aussaatkalender anzugehen, der die Zu- und Abnahme des Mondes, den Stand des Mondes vor den Fixsternen sowie die Planetenkonstellation berücksichtigt. Es sind direkte Affinitäten zu den verschiedenen Pflanzen wie zu ihren Einzelteilen: Wurzel, Blatt, Blüte, Frucht. Alte Rosen werden z.B. an Blütentagen geschnitten oder gejätet oder gehackt – sie sind dadurch auch gegen Schädlinge resistenter (das nützt nur, wenn weder sie noch die Erde mit chemischen Präparaten und Düngern behandelt werden).
Der Kalender ermöglicht auch jenen, die alle diese Zusammenhänge noch nicht kennen, einen gelassenen Überblick und einen natürlichen Rhythmus bei ihren Gartenarbeiten. Pflanzen scheinen diese Art der Zuwendung zu mögen und gedeihen. Die Rückwirkung auf den Menschen liegt in einer Harmonisierung.
Ich hole Noël in der Schule ab, da wir zu Alja hinausfahren wollen, obwohl sie angerufen hat, dieses Jahr könne sie für ihre Freunde einfach kein Maifest veranstalten, gefühlsmäßig. Jetzt, da Felix tot sei und nachdem auf ›Holsten‹ diese Totenhand gefunden wurde, sei ihr jede Lust dazu vergangen. Sie fröstle, als lägen die ›Höhen‹ unter einem großen
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