Todesformel
Morgenröte‹ , ›Die Wiedergeburt, ›Venus‹ , ›Der Frühling‹ , ›Die Sternenfrau‹ , ›Das Blumenmädchen usw.
In den alten vedischen Liedern, diesen vielleicht einleuch tendsten Zeugnissen f ür die Kultur der Menschen einer fernen Urzeit, wird Ushas, die Göttin der Morgenröte, mit Worten einer sinnlichen Leidenschaft verherrlicht – sie ist eine wunderschö ne strahlende Frau, deren Erscheinung in den S ängern der Urzeit ein geradezu sinnliches Erlebnis hervorrief. F ür den Menschen der Veden war daher jeder neue Morgen ein ebenso freudiges Ereignis wie eine Liebesbegegnung, er war ihm ein Neuanfang, eine Neusch ö pfung der Welt.
Wir haben vielleicht eine Reise erwartet, eine geografische Bewegung, einen Raum-Zeit-Unterschied zwischen Tal und Bergspitze. Jetzt sehen wir, dass die Spitze des Sterns genau dort ist, wo das Tal ist.
Wir hatten angenommen, dass Flügel notwendig sind, dass S äulen durchschritten werden müssen, dass Reisen an stehen, und stellen pl ötzlich fest, dass wir auf der ›Spitze des Sterns‹ aufwachten, mitten im Garten‹ .
Der Stern ist jetzt endlich frei. Anhänger des Zen nennen dieses Erlebnis ein ›Satori‹ , ein pl ötzliches Erkennen der wahren Natur des Seins.
Die F rau in der Karte ›Der Stern ist in der Welt. Sie lebt in der W elt, aber die Welt benützt sie nicht.
Mein Gott, Dorothy wie sie leibt und lebt. Als wenn ich jetzt Zeit hätte, auch nur zweimal dieses Mail zu lesen. Ich habe ihr von meinen Gartenträumen und von unseren Verschönerungskünsten am Haus erzählt. Dorothy meint es auf ihre Weise gut, und es ist lieb, dass sie so an mich denkt, ein positives Mail. Das mit der Gefahr – der Mensch ist vom Moment des Aufstehens an in Gefahr. Wie hat es Mister Platen-Alt poetisch ausgedrückt? Ein Ziegel kann dir auf den Kopf fallen – da passe ich halt etwas auf.
Ich drücke auf ›Antwort‹: Mam, danke, deine W ünsche kann ich gebrauchen. Das Bild der Sternenfrau gef ällt mir sehr, ich werde mich rasch und vorsichtig bewegen, ans Schwert denke ich, wenn nötig. Hier ist ein bisschen ein Durcheinander, beruflich, es wird sich legen, uns geht es allen gut. Gute Nacht und have a nice day, deine Jenny.
* * *
Hässliches Telefongeklingel reißt mich aus dem Dämmerschlaf, halb sieben Uhr morgens, Alja. Sie redet gehetzt, ob mein freundlicher Mithausbewohner sich um Noël kümmern kann, ob ich bitte rasch und jetzt gleich zu ihr fahre, sie hat die Polizei im Haus gehabt. Nein, keine Einbrecher, eine Pause. Alja holt Atem. In einem Großeinsatz hat die Polizei eine Hausdurchsuchung durchgeführt, da war sogar ein Hund. Jetzt sind sie alle wieder weg. Sie hat dazu ein Protokoll unterschrieben.
»Bitte, Jenny.«
Ich komme.
Wir trinken Kaffee.
Es hätte nichts geändert, hätte Alja einen Hund gehabt. Sie erwachte, als sie eine Autotür schlagen hörte. Schon war sie am Fenster. Sie hörte Schritte, eine Flüsterstimme. Dann war sie von einem Scheinwerfer geblendet. Schon schrillte die Hausglocke, jemand rief, da sei die Polizei. Vier Männer in Kombianzügen mit Springerstiefeln, schwarzen Wollmasken und Maschinenpistolen stürmten an ihr vorbei ins Haus, ein fünfter hielt sie fest. Wenn es denn Polizisten waren, so wollte sie zunächst einmal froh sein. Natürlich hat sie an die CD-ROM gedacht.
Der Einsatzleiter hieß Melk. Er zeigte den Durchsuchungsbefehl, ausgestellt durch die Staatsanwaltschaft, eine fahrige, unleserliche Unterschrift. Sie gingen davon aus, sie sei nicht allein im Haus. Maskierte und Unmaskierte rannten herein und hinaus, sie durchsuchten das Haus, waren im Glashaus, in der Tenne, im Speicher, in der Garage. Endlich hatten sie alle niemanden gefunden. Der Einsatzleiter kam herein, die Personenkontrolle sei abgeschlossen, in einer Stunde seien sie fertig. Er verbot ihr zu telefonieren. Seine Männer arbeiteten rasch und oberflächlich, sie durchblätterten Bücher, durchwühlten Schubladen, griffen im Kleiderschrank in Hosentaschen. Wahllos beklopften sie Gegenstände und Bilder. Alja saß in der Küche auf einem Stuhl.
Es war Tag, sechs Uhr morgens, als sie unterschreiben sollte, die Durchsuchung sei korrekt und ohne irgendwelche Beschädigungen durchgeführt worden. Dieser Melk erklärte knapp, den Computer und ihr Notizbuch müssten sie leider mitnehmen, auch das Adressbuch und die Schachtel mit den CD-ROMs, dafür stellten sie eine Quittung aus. Alja meinte, bevor sie unterschreibe, wolle sie ihre Anwältin
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