Todesformel
das überstehen wir nur gemeinsam.«
›Aussehen wie ein Paar‹, wie lächerlich. Ich inhaliere, drücke die Zigarette aus. Wir bestellen.
Sven hatte vor drei Tagen ein Telefongespräch mit einem der Minister, nicht mit seinem obersten Vorgesetzten, mit jenem aus der gleichen politischen Partei wie Sven. Der Minister spielt mit Mattis Platen-Alt Golf, regelmäßig. Der Minister hat Sven die jetzige Version des Geschehens gegeben. Zu den Mordfällen auf den ›Höhen‹ sei zu wissen, dass die ›Delton Biotec‹ einem Angriff von Industriespionage ausgesetzt war. Wichtiges Forschungsmaterial sei verschwunden, das dürfe nicht in die Öffentlichkeit gelangen, auch firmenintern sei nur ein kleiner Kreis informiert. Der entstandene Schaden gehe in Millionen-, aufs Ganze gesehen in Milliardenhöhe.
So ein Minister redet in Stichworten. Eine Hauptaktionärin sei in die Angelegenheit verwickelt, diese sei seit ihrer Jugend schizophren. Die Boulevardpresse könnte hier eine unglückliche Verknüpfung herstellen. Die Familie wünsche Diskretion. Man werde die Unzurechnungsfähigkeit dieser Frau feststellen und sie abschirmen. Ihre Anwältin sei Dr. Jennifer Bach, die geschiedene Frau seines Freundes Benno Benrath, der unmittelbar vor der Wahl zum Oberrichter stehe. Frau Bach fehle jedes Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge.
Ich atme flach und fühle, wie mir die Röte aufsteigt, die Bluse ist zu eng. Ich sehe mich da sitzen am kleinen Tisch, Sven Dornbier sitzt vis-à-vis, schaut besorgt, sein neuer Haarschnitt sieht nett aus. Andere Leute sitzen an anderen Tischen, lachen, reden, im Hintergrund Gitarrenmusik. An der Theke steht ein Kellner. Ich kippe nicht um, denn das würde Aufmerksamkeit erregen. Ich bin maßlos enttäuscht. Das ist der Grund, dass wir zusammen essen. Dass ich das denke und nicht das andere, bringt mich zum Lachen. Die Starre ist weg, ich bin Anwältin und die wollen meine Klientin erledigen.
Wir löffeln die kalte Suppe, ich registriere kaum einen Geschmack. Was Sven erzählt, ist schlimm, es macht meinen Kiefer hart. Ich denke an Dorothys Schwert, man muss mit dem Schwert durchschlagen, doch erst sollte man wissen, wo der Gegner steht.
Der Minister war bestens informiert über Svens Ermittlungen. Sven ließ seinen Computer durchchecken; dieser zeigte dann auch Spuren von unerlaubtem Besuch.
Die Hausdurchsuchung in der ›Mey-Mühle‹ musste auf Veranlassung des Ministers durchgeführt werden, auf Verdacht hin: In der ›Mey-Mühle‹ sei vor Jahrzehnten die Anwesenheit eines Terroristen festgestellt worden. Sieben Jahre später wurde dieser als Mitglied einer terroristischen Zelle gesucht. Damals wurde jede Spur weit zurückverfolgt. Ausgerechnet Alja Berken sei in jenem Sommer als seine Geliebte mehrmals in der Mühle anwesend gewesen. Verdächtig sei auch ihr Vorname, Alja, ein russischer Name. Nach Ansicht des Ministers genügt das.
Im Zigarettenpäckchen angle ich nach einer weiteren der dünnen Zigaretten, Sven gibt mir Feuer, meine Hand zittert leicht. Ich ziehe den Rauch tief ein. Was wissen wir, was da noch kommt. Schon wieder ein so stimmungsvoller Abend. Warum nur kann mein Leben nicht etwas romantisch sein?
»Und was ist mit ›Holsten‹? Was ist mit der ›Delton Biotec‹? Du kannst genauso gut sagen, alle diese Toten haben mit der ›Delton Biotec‹ zu tun!«
Sven klingt traurig. »Du hast auch eine gefilterte Wahrnehmung. Kämpfst du jetzt für Alja Berken oder für Meret Platen? Ich greife dich doch gar nicht an! Was hat Alja Berken auf ihrem Computer, sie schreibt Gartenkolumnen. Es kann auch eine einfache Hausintrige des Ministers sein, zur Budgetdebatte oder als Machtdemonstration. Ich weiß es nicht. Zunächst müssen wir das Ergebnis dieses Computerchecks abwarten.«
Jetzt bin ich es, die Brotkrümel zerdrückt. Sven sucht meinen Blick, ist das jetzt Galgenhumor? »Es kann einer ein Narr sein, wenn er zu lang nicht bemerkt, wie er aufgrund seiner Rechtschaffenheit hereingelegt werden soll.«
Jetzt verzieht er sein Gesicht, lächelt, legt seine Hand auf meine Hand. Sie ist groß, nervig, warm.
* * *
Den Nachmittag nehme ich frei. Noël wird nach dem Unterricht ins Schwimmtraining gehen.
»Alja, erinnere dich, nur du weißt, wovon sie reden!«
Wir sitzen auf Aljas Sonnenterrasse auf der Schaukel: Vom Berg her weht ein Lüftchen.
Gibt es denn Erinnerungen, die nicht wehmütig stimmen? Erinnerung ist Suchen, ist vergebliches Festhalten-Wollen von
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