Todesformel
wieder ein rascher Morgen angesagt. Die Kanzlei verlasse ich um Viertel vor neun Uhr. Ich renne zu einem Gerichtstermin, eine erste Parteienanhörung in diesem mühseligen Scheidungsverfahren. Anschließend bin ich zum Termin bei der Dentalhygienikerin bestellt. Das dauert für nichts fünfundvierzig Minuten, ich denke, sie arbeitet im Stundentakt. Lukas ist heute Morgen in seinem Programmierkurs, der zur Arbeitszeit stattfindet. Ich bin schon um Viertel vor elf Uhr zurück, eine Viertelstunde früher als geplant, die Dentalhygienikerin war in Eile.
Ich schließe die Kanzleitür auf, gehe durch den Korridor in mein Büro. Schon unter der Tür sehe ich den leeren Platz auf meinem Pult, erschrecke bis in die Knochen – mein Laptop ist weg. Dort müsste er liegen, schön, viereckig, grau. Nichts, lose Kabel. Gleichzeitig weiß ich, da ist jemand, ganz nah, hinter dem Schrank oder hinter dem Pult. Ich denke an Alja, die schlief, als jemand in ihr Zimmer kam. Ich weiche zurück, Schritt für Schritt rückwärts, so leise ich kann, man soll nicht hören, dass ich mich bewege. Das ist mein Fehler. Im Korridor holt er mich ein, einen Strumpf über dem Gesicht. Er ist größer als ich, ich reagiere in Panik, will weglaufen. Schon ist er da und schlägt mich nieder. Ich komme zu mir, sitze in der Toilette an die Wand gelehnt. Automatisch fasse ich an den Hinterkopf, dort ist eine große schmerzende Beule, viel Blut. Die Uhr zeigt Viertel nach elf. Ich rapple mich hoch, sehe mein weißes Gesicht im Spiegel, finde mich eingeschlossen. Mir ist schwindlig, doch ich muss jetzt hier raus. Der Schlüssel steckt auf der andern Seite, die breite Spalte unter der Tür ist auch da. Also schiebe ich Toilettenpapier unter der Tür durch, stoße nach mühseliger Kleinarbeit den Schlüssel nach außen, er fällt und bleibt auf dem Papier liegen, ich kann ihn nach innen ziehen.
Duselig gehe ich ins Büro – der Laptop steht auf seinem Platz, angeschlossen, die Kabel sehen aus wie immer. Keine Spur eines Eindringens oder Verlassens, nichts fehlt. Das Telefon funktioniert. Nein, die Polizei rufe ich nicht an, die sind imstande und behaupten, ich hätte mir die Beule eigenhändig zugefügt, wahrscheinlich mit einem Bumerang. Ich rufe Knut an.
Am Abend kommt einer von Knuts Kollegen vom Spezialdienst vorbei. Nirgends sind fremde Fingerabdrücke zu finden. Der Mann hat mit Handschuhen gearbeitet, das war zu erwarten. Das Türschloss lässt sich von einem Profi in zwei Minuten öffnen. Die sauber geputzten Wohnungen sind ein Fluch für jede Spurensuche. Auf den ersten Blick zeigt der Computer nichts. Später findet sich die Spur: Um 9.35 Uhr wurde das Registrationssystem ausgeschaltet, 10.58 Uhr läuft es wieder. Wer den Computer wegtrug und wieder herbrachte oder wer ihn möglicherweise hier bearbeitete, meinte zu wissen, wie lange ich weg wäre. Knuts Freund legt eine neue Firewall über den Computer, doch gegen wirkliche Spezialisten ist man machtlos.
Knut begreift es nicht. Ich war zu unvorsichtig. Mein Gerichtstermin und der Zahnarztbesuch waren offene Daten. Jemand wusste, dass auch Lukas weg ist.
Mein Kopf schmerzt noch immer. Das war kein Klient, der nach seinen Unterlagen suchte. Kann es sein, jemand meinte, ich hätte etwas auf meinem Laptop. Der Gedanke lässt sich nicht verdrängen, Aljas CD-ROM könnte eine Spur auf meinem Laptop hinterlassen haben. Die Spur führt in die Kanzlei.
Auf Svens Veranlassung hin wurde Meret Platens Laptop direkt auf dem Amt überprüft, Meret Platen hat mich nicht darüber informiert. Ich muss endlich mit dieser Frau reden.
* * *
Als Noël hört, dass ich nach ›Holsten‹ fahre, um ›seine‹ Frau Platen zu treffen, da gibt es kein Halten, er sprudelt beim Reden, verhaspelt sich:
»Ich komme mit. Ich kann einmal in der Woche im Training fehlen. Sie hat mich eingeladen, sie will Fritzi sehen.«
Ich bin gar nicht angetan, im Grunde genommen bin ich entsetzt. »Es ist eine geschäftliche Besprechung. Es ist mein Beruf. Schon im Auto lenkst du mich ab, ich muss mich konzentrieren können.«
»Ich werde still sein, wenn wir fahren. Ich sage gar nichts. Ich werde im Auto warten mit Fritzi. Wenn du fertig bist, erst dann sagst du ihr, dass ich da bin und Fritzi mitgebracht habe. Dann kommt sie sicher heraus, dann kann ich ihr Fritzi zeigen. Sie mag Meerschweinchen, sie hat gesagt, sie mag Kinder.« Das hat Noël schon einmal gesagt, jetzt überrascht es mich.
Lukas hat frei, Claas lässt sich
Weitere Kostenlose Bücher