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Todesformel

Todesformel

Titel: Todesformel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Wyss
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halben Klingeln abhebt. Ich lese vor: »Wenn das dieses Leben fordern sollte« – das klingt dramatisch, ein Abschiedsbrief. Svens Reaktion ist: »Doch Suizid!«
    Sven wird die Platen-Alt anrufen. Er bietet Polizei auf, man muss Frau Platen finden. Wo ist eigentlich diese Residenz, in der ihre Mutter lebt? Er kommt direkt nach ›Holsten‹, ich soll warten. Ich soll auch nicht allein nach oben gehen. Daran habe ich gar nicht gedacht. Ich bin mir sicher, sie ist nicht im Haus, sie hat das Haus durch die Tür verlassen, durch die ich gekommen bin, sie hat sie für mich offen gelassen.
    Ich rufe Alja an. Ich weiß, sie ist tot. Sie hat für mich eine Art Nachricht hingelegt, ein Mantra, ein Rundreim, wie der vom Glück, ein sich schließender Kreis, der Weiher. Nach einer Pause meint Alja: »Erinnerst du dich, was Meret Platen beim Ostertee erzählt hat, wie sie als Kind in den Weiher gehen wollte?«
    * * *
    Zwei Polizeiautos stehen am Ufer, die Scheinwerferkegel fahren über die Wasserfläche, bleiben am gegenüberliegenden Ufer stehen. Handscheinwerfer kommen bewegend dazu, das Wasser glänzt wie flüssiger Teer. Etwas scheint darin zu schwimmen, fast in der Mitte, etwas Helles. Sie hängt wie ein Klappmesser im Wasser, kopfüber. Einer der Polizisten watet und schwimmt in diese Schwärze, holt Meret Platen heraus. Die Wiederbelebungsversuche sind erfolglos, Meret Platen ist tot. Ich muss mich auf sie geworfen haben, habe sie an den schmalen Schultern gepackt und geschüttelt, habe ihr weißes Wachsgesicht mit den starrenden Augen zwischen beiden Händen gehalten und stoßweise geruckt, habe es gestreichelt, eben doch Marmor – tot. Wir sind zu spät gekommen. Jemand packt mich von hinten an den Oberarmen, versucht mich hochzuziehen – um ein Haar hätte ich um mich geschlagen. Es ist Sven. Was soll das! Als käme ich zu mir. Ich lasse die Leiche los, sie plumpst seitwärts ins feuchte Gras.
    Ausgerechnet ich bin hier und verhalte mich hysterisch. Vor mir im Gras liegt die tote Meret Platen im verschlammten weißen Joggingdress. Sie ist meine Klientin. Sie hat sich nicht helfen lassen. Ich zittere.
    Sven dreht mich gegen sich, zieht mich hoch, nimmt mich in einen Sanitätergriff, unglaublich unbequem, schleppt mich weg: »Es gibt hier nichts mehr zu tun, wir lassen jetzt die Spurensicherung machen.«
    Ich schlucke, blinzle, die Scheinwerfer, Polizisten. Sven muss noch arbeiten. Ich sitze auf einem der großen Steine, suche in der Gürteltasche nach einem Papiertaschentuch, entschließe mich, es nicht zu benötigen, keine Tränen – was ist geschehen, eine Klientin ist ertrunken. Ich schaue auf den feinen Schleier über dem Wasser, die überscharf gezeichneten Birken, deren kleine Blätter in den jetzt schräg einfallenden Lichtbahnen der Scheinwerfer surreal glänzen. Wie weich bin ich denn geworden, überempfindlich, die Tränen sind mir ja zuvorderst. Ich weine nicht vor Polizisten, es untergräbt die Autorität. Auch Sven soll mich hier nicht weinen sehen. Die peinliche Vorstellung von eben genügt.
    Ich bin froh, dass er die Untersuchung führt. Er ist korrekt, exakt, liebt keine Leichen. Wärme drückt sich an mich, Moshe. Er muss entwischt sein. Dankbar halte ich mich an ihm fest. Von fern ist ein zweites Martinshorn zu hören. Ich gehe hier weg, mit Moshe durch den dunklen Wald, in die Mühle hinunter.
    * * *
    Ich hadere mit dem Schicksal im Allgemeinen. Jeder Mensch hat doch an der Wiege auch die gute Fee, die einen goldenen Wunsch ins Leben mitgibt, Liebe, ein Talent zum Singen oder einen einfachen Goldengel, der dafür sorgt, dass von irgendwo immer Geld zufließt. Meret Platen war unglücklich. Viele Märchenheldinnen kommen ohne Vater und Mutter aus. Im Gegenteil, die Voraussetzung einer Entwicklung zur Heldin wäre die Mutterlosigkeit. Warum soll ausgerechnet sie keine gute Fee gehabt haben?

11
    AUS ALJAS GARTEN: Meine ganz besondere Aufmerksamkeit aber gilt den Tomaten. Tomaten sind anders. Die Spanier brachten sie als Aztekenfrüchte aus Mittelamerika, in Europa galten sie lange als Zierpflanzen, deren Früchte man nicht zu essen wagte.
    Tomaten lieben es, über Jahre am selben Standort zu stehen, und die eigenen Schnittabfälle sind ihr bevorzugter Dünger. Tomaten sind sonnenhungrig und brauchen Wärme. Das Besprühen der Blüten mit dem Wassersprüher unterstützt die Pollenbildung. Damit die Früchte auch wirklich ansetzen, klopft man am besten ganz leicht an die Blüten, das löst die Pollen.

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