Todesformel
für das Kind. Ich werde den Schaden selbstverständlich ersetzen.«
Ich habe eine Wut und vor mir steht ausgerechnet eine gediegene Frau. Was soll ich sagen? Es macht nicht nichts, es ist entsetzlich. Für Noël ist es grauenhaft, er hat zugesehen, wie Fritzi zerfleischt wurde, und jetzt liegt dieses blutige Kadaverlein im Gras. Die Frau ist mir mehr als egal. Dorothy würde sagen, du musst eine Form finden, sofort, dass Noël es verarbeiten kann. Eiskalt sage ich, und ich könnte sie mit meinem Blick durchbohren: »Ich frage jetzt mein Kind, wo es ihn begraben will, hier oder anderswo.«
Noël will den toten Fritzi nicht sehen, nicht mitnehmen. Also bringt Frau Chantal Platen-Alt jetzt ihre Hunde ins Haus.
Sie kommt zurück mit einer Gartenschaufel und einem Packpapier. Ihre Hilfe hat uns gerade noch gefehlt. Sie lässt es sich nicht nehmen, zu warten, dass Noël aus dem Auto kommt. Sie müsse sich doch entschuldigen. Kein Wort sage ich zu ihr, doch ich schicke sie auch nicht weg. Sie lässt sich vor Noël in die Hocke, irgendwie unwirklich. Es tut ihr leid, dass etwas so Schlimmes geschehen musste. Ihre Hunde sind gute Hunde, doch sie gehen auch auf die Jagd. Sie meinten, sie täten etwas, das die Menschen freute, so hat man sie erzogen. Man könne das Meerschweinchen ersetzen. Sie werde anrufen, in zwei Tagen: Wenn er wolle, könne er mit ihr kommen, sie wisse, wo Meerschweinchen erhältlich wären, es könnten auch zwei sein. Noël blute ja etwas am Knie. Aus ihrer Jackentasche zieht sie ein frisch gebügeltes Taschentuch, drückt es behutsam auf die Wunde. »Du bist umgefallen und hast dein Knie aufgeschlagen. Es ist eine Schürfung, das wird rasch heilen.«
* * *
Kurz vor Mittag ruft Sven von seinem Handy aus an, ich atme scharf ein. Meine Mandantin, Meret Platen, benötigt eine Anwältin, ich bin doch noch immer ihre Anwältin? Sie braucht juristischen Beistand, dringend. Er hat gehört, ihre Schwester, die Politikerin Platen-Alt, hat vor zwei Wochen das Gesuch zu ihrer Verwahrung gestellt, von dem er mir erzählt hat. Er hat gehört, dieses wird äußerst diskret behandelt, vor allem Meret Platen weiß nichts davon. Es wird das Gerücht herumgeboten, Meret Platen sei extrem suizidgefährdet, leide unter dem Tod ihres Liebhabers sowie unter Wahnvorstellungen. Dem Gesuch wird demnächst stattgegeben. Nur solange das Gesuch läuft, kann ein Einspruch mit aufschiebender Wirkung eingereicht werden.
Von Meret Platen habe ich seit meinem Besuch vor vier Tagen nichts mehr gehört, ich habe dies auch nicht erwartet. Sven spricht von ihrer Verwahrung, das ist die vorsorgliche, das heißt endgültige Einweisung in eine psychiatrische Klinik. Für den Einspruch benötige ich Meret Platens Unterschrift plus eine ärztliche Beglaubigung, dass sie in guter physischer und psychischer Verfassung ist.
Seit diesem Anruf versuche ich im Viertelstundentakt, Meret Platen telefonisch zu erreichen. Mein Puls geht schnell, doch ich denke klar, ein Adrenalinschub. Plötzlich denke ich: Endlich kann ich kämpfen, ich bin eine gute Kämpferin, jetzt kommt es darauf an und ich habe das nötige Rüstzeug. Der Gedanke überrascht mich, macht mich froh.
Noch immer nimmt Meret Platen kein Telefon ab. Ich bin beunruhigt, rufe Sven vor Büroschluss zurück. Um halb fünf ist wenigstens klar, dass der Beschluss heute noch nicht rechtskräftig ist. Ich telefoniere wieder und wieder in die Orangerie. Endlich wird Noël aus dem Schwimmtraining nach Hause gebracht.
Es ist halb sieben, ich packe Noël und Moshe ins Auto, wir fahren zu Alja. Hier beharrt Alja darauf, dass ich mich in der Küche setze, Käse und Brot esse, einen Espresso trinke. Es ist schon abends acht Uhr, mit der Sommerzeit noch Tag, als ich auf ›Holsten‹ vergeblich die Taste der Gegensprechanlage am Tor drücke. Da kommt niemand. Ich eile um die Mauer zum Nebeneingang. Eigenartigerweise ist die Seitentür zu Meret Platens Orangerie unverschlossen. Ich ziehe am Glockenzug, höre auf das helle Bimmeln. Ich trete ins Haus, befinde mich in einem schmalen Korridor, stehe im Entree.
Auf der halbrunden Konsole liegt ein an mich adressiertes Kuvert. Mit Herzklopfen ziehe ich ein Blatt Papier heraus, zwei Zeilen, mit violettem Filzstift zügig geschrieben.
Es ist ein Gl ück, seine Liebe zu finden, dazu ist das Leben – wenn das dieses Leben fordern sollte, so ist das wie derum das Gl ück.
Das darf doch nicht wahr sein. Mit dem Handy rufe ich Sven an, der nach einem
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