Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Todesformel

Todesformel

Titel: Todesformel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Wyss
Vom Netzwerk:
Vielleicht trägt er gerade deswegen jeden Sommer so viele Früchte, die Alja zu Mus, Konfitüre und eben Sirup kocht.
    Alja ist meiner Meinung. Merets Tod im Wasser hat noch überhaupt keine Logik und natürlich kann man das Benno so nicht durchlassen. Alja hat mir aber etwas anderes zu erzählen. Falls es mir zu kühl werden sollte, liegt Aljas roter Wollschal bereit.
    Vor fünfzehn Jahren hätte ich sie hier in der Mühle aufgesucht. Ich sei gekommen, weil ich nach meiner Herkunft suchte. Ich wollte wissen, wer meine Mutter war. Alja habe mir keine Antwort geben können. Jetzt steht sie auf, zieht die Strickjacke eng um sich, ein paar Schritte hin, ein paar Schritte her. Heute ist das anders. Alja weiß es seit vier Wochen, jenem Tag, an dem Felix starb. Sie hat die Frau von damals schlagartig wiedererkannt. »Deine Mutter ist Meret Platen.«
    Ich versteife mich, ziehe die Schultern hoch. Innerlich ziehe ich mich auf einen Punkt im Hinterkopf zusammen, dort, wo der Kerl hingeschlagen hat. Alja meint: »Du frierst, nimm doch das Tuch. Wir können auch ins Wohnzimmer gehen, ein Feuer machen, hoffen, der Rauch wird vom Regen nicht heruntergeschlagen.«
    Ich will jetzt kein Tuch. Ich warte.
    »Du erinnerst dich, ich habe dir von jenem Tag erzählt, als du geboren wurdest, von jenem seltsamen Zufall, dass ich ausgerechnet an jenem Tag diese Radtour unternahm, die mich in die Mühle führte.«
    Es ist die Geschichte meiner Geburt, wie Alja sie mir damals erzählte, als ich mit zwanzig erstmals in ihrem Wohnzimmer saß. Die Geschichte, die ich seither im Ohr, im Unbewussten, im Herzen habe, die Geschichte, wie sie Noël, Knut und Dorothy kennen.
    Alja besteht darauf, mir diese Geschichte zum jetzigen Zeitpunkt wieder zu erzählen:
    Wie sie vom Rad gestiegen war, durch den verwilderten Garten zum leer stehenden Haus ging. Wie sie die Türklinke niederdrückte, doch da war niemand. Wie sie schon wieder wegging, als die schwangere Frau in der Tür stand und sie zurückrief. Wie die Frau erklärte, ohne Arzt hier gebären zu wollen. Wie Alja nicht anders konnte, als ihr zu helfen. Dass die Frau alles so perfekt vorbereitet hatte, und wie froh sie war, wie durch ein Wunder war es eine einfache Geburt.
    Ich kenne die Geschichte auswendig. Die Frau ging in der Nacht weg, ließ die erschöpft schlafende Alja und den Säugling zurück, mich.
    Wie sie mit dem Säugling aus dem Haus kam, war da Felix. Er holte Hilfe.
     
    Ich stelle mir vor, diese Frau war Meret Platen. Jetzt, da meine Mutter ein Gesicht hat, ist sie tot. Es ist das Letzte. Wie konnte sie es wagen, ihr Kind zu verlassen?
    Ich höre auf das weiche Rauschen der Musik, stürmisch sollte sie sein, hämmernd, schlagend. Mit Kraft soll der Wind die Bäume biegen, der Regen soll peitschen und fetzen, doch da ist einfältiger Landregen.
    »Du musst nichts sagen, musst es nur ordnen. Ich habe es mir, seit ich mir sicher bin, überlegt, vor Ostern hast du sie nie gesehen. Sie schien erst an Ostern zu wissen, wer du bist. Erinnere dich, Meret Platen hat dich nach deinem Sternzeichen gefragt, sie hat Noël nach seinem Sternzeichen gefragt, sie hat sich nach Dorothys Ähnlichkeit mit dir erkundigt. In Wirklichkeit wollte sie dein Geburtsdatum wissen, sie wollte Gewissheit. Sie hat dich noch nie gesehen, sie muss eine überraschende Ähnlichkeit von dir oder auch von Noël mit jemandem gesehen haben. Die Entdeckung hat sie offensichtlich gefreut, obwohl sie unter Stress stand. Erinnerst du dich, wie konzentriert sie war? Wenn du es dir überlegst, sie hat sofort entschieden, dass wir es nicht wissen sollten.
    Ich denke seither über diesen Osterbesuch nach. Noch nie vorher ist sie auf einen spontanen Besuch so hereingekommen. Möglicherweise wusste sie aber, wem der ›Jeep‹ gehörte, der vor der Garage stand.
    Verrückt ist, ich habe sie in all den Jahren hier nicht wiedererkannt. Während einer Geburt siehst du anders aus. Sie hingegen muss mich gleich bei unserer ersten Begegnung wiedererkannt haben, doch sie zuckte nicht mit der Wimper. Erst am Tag von Felix’ Tod, als sie hierher gelaufen kam und am Küchenfenster stand, die Furcht war ihr ins Gesicht geschrieben, da war es schlagartig das Gesicht von damals.
    Sie hat sich nie zu erkennen gegeben. Es gibt auch ein Recht der Mütter.
    Ich dachte, du solltest sie als Mandantin übernehmen, damit sie dich wieder sieht. Du hast ihr sogar das Leben gerettet, doch sie blieb stur. Das nenne ich diszipliniert.
    Sie war alles

Weitere Kostenlose Bücher