Todesformel
hinauf, parken den ›Jeep‹ bei einem Holzstapel.
Eine Tragetasche und das Handschaufelchen haben wir mitgenommen. Hier stehen die Buschwindröschen mit den großen blassrosa schimmernden Blüten, auch der Waldmeister öffnet sich erst jetzt. Sorgfältig graben wir von beiden ein paar aus, riechen die Walderde. Nicht weit von hier führt ein Pfad schräg durch den Wald zum Weiher hinunter.
Dort, wo Meret Platen aus dem Wasser gezogen wurde, liegt das flache Ufer schön besonnt. Hier graben wir die Pflänzlein ein. Sie werden sich ausbreiten, einen Teppich bilden. Ich fühle ein Zittern in meinem Unterkiefer, schiebe das Kinn etwas nach vorn, ich habe den gleichen Kieferknochen wie Noël. Es ist erst eine Woche her, da kniete ich hier und sie war tot. Es ist nicht nur für Noël, dass wir Waldblumen pflanzen.
Noël geht zum alten Grabstein von Julian Platen-Delton, jenem, den Felix hierher schaffte. Auch das ist bloß ein alter Stein, kein Grab.
* * *
Jetzt ist halb zwölf Uhr. Es ist ein spontaner Entschluss: Knut war in der Kirche. Wenn wir Glück haben, ist er noch zu Hause. Wir schauen rasch bei Opa herein.
In der Einfahrt steht Aljas ›Fiat‹. Wir klingeln nicht, ich bin hier daheim. Kaum haben wir die Haustür geöffnet, hören wir laute Stimmen, Alja und Knut unterhalten sich, energisch könnte man sagen. Deutlich ist Aljas Stimme zu unterscheiden, hart, erbost, so habe ich sie noch nie gehört.
»Ich habe dir heute angesehen, dass du es weißt. Sonst wärst du auch nicht zur Beerdigung gekommen.« Noël und ich bleiben im Korridor stehen. Ich schaue auf das vertraute, silbergerahmte Foto, Knut und Dorothy, Dorothy in ihrem hellen Hippiekleid mit dem tiefen Ausschnitt und den großen Volants, der helle Haarbusch liegt wie ein Heiligenschein um ihren Kopf, sie lacht, das lächelnde fast kahlköpfige Baby auf Dorothys Schoß bin ich. Jetzt wieder Aljas Stimme, etwas leiser, schneidend, wir können sie gut verstehen. »Weißt du eigentlich, was du angerichtet hast? Was habt ihr euch denn vorgestellt? Ich habe es erst vor vier Wochen schlagartig gesehen, es lag nicht an mir, etwas zu bewegen, doch jetzt ist sie tot! Ich bin überzeugt, sie lebte, hätte Jenny es gewusst. Wie habt ihr euch das vorgestellt, das muss spätestens jetzt geregelt werden, du weißt warum!«
»Hallo!«, mit Noël an der Hand trete ich ins Wohnzimmer. Alja und Knut stehen, stehend streitet es sich besser. Knut steht in Socken da, trägt noch das frisch gebügelte, weiße Hemd, die schwarze Krawatte liegt über einer Stuhllehne, seltsamerweise hat er eben seine Schuhe poliert, die Putzkiste steht auf dem Esstisch. Bei unserem Eintreten schweigen beide betreten.
Vor Noël Zivilcourage zeigen ist Erziehung: »Was ist los, was streitet ihr euch, was muss ich wissen?« Knut fasst sich zuerst. »Jenny, Schatz, Noël, mein Junge.« Wenn Knut ›Schatz‹ sagt, ist alles ganz und gar nicht in Ordnung. »Ich habe euch nach der Kirche aus den Augen verloren. Schön, dass ihr da seid. Alja und ich sind uns über etwas nicht einig. Bevor ich nicht mit Dorothy gesprochen habe, will ich gar nicht darüber reden.« Alja schaut mit undurchdringlichem Gesicht, schluckt und meint mit einer wegwerfenden Handbewegung: »Hallo ihr beide, ich habe euch in der Kirche von Weitem gesehen. Knut hat recht, fertig gestritten.« Zu Knut gewandt sagt sie in einem Befehlston, den ich nicht an ihr kenne: »Es ist noch zu früh, um nach Amerika zu telefonieren. Du wirst mit Jenny reden, sobald du Dorothy erreicht hast, dann ist das ja wunderbar.«
Knut zieht Noël an sich, gibt ihm einen Kuss, lächelt mich von unten her etwas schief an, klingt erleichtert: »Jennifer, Schatz, trinkst du auch ein Gläschen Malaga oder ziehst du einen Sherry vor? Für Noël habe ich Brause gekauft, kennst du Brause?«
Eine erwartungsfrohe Spannung schon am Morgen beim Erwachen, etwas, das noch nie so war. Heute wird ein guter Tag, ein besonderer Tag, das, wozu ich auf die Welt gekommen bin. Ein Blick zur Decke des Badezimmers, ob die Vorsehung mir heute anstelle eines Rohrbruchs vielleicht eine frischweiße Decke beschert hat. Heute leuchtet der Fleck hellrot, es sind hässliche Ringe entstanden. Heute drücke ich Claas auf die Seele, es muss endlich vorwärtsgehen, er soll endlich die nötige Farbe besorgen, heute.
Zunächst bringt der Tag ganz besonderen Ärger, Benno meldet sich zu einer Tasse Espresso an. Das Kaffeepulver fehlt, in einer Kanzlei mit Sekretärin ginge das
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