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Todesformel

Todesformel

Titel: Todesformel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Wyss
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Blitzbesuch zu ihr fliegen, sie könnte all dies gar nicht beurteilen, kümmert sich nicht um Politik und nicht um Wirtschaft, kümmert sich eben doch nur um verletzte Seelen, wäre auf meine Wahrnehmung angewiesen. Diese kann ich mir auch direkt mitteilen.
    * * *
    Es ist neun Uhr abends, Knut kommt vorbei, natürlich habe ich allen den Abend verdorben. Das ist mir egal.
    Knut ist verstört, hustet, nimmt gern einen Bourbon und ich genehmige mir auch ein kleines Glas, pur kippe ich es hinunter, huste nicht. Dass es so kommt, genau das hat er befürchtet. Damals, als ich zwanzig war, als die Mühle als Geburtsort feststand, als so offensichtlich war, dass jemand die Unterlagen verloren gehen ließ, als er wusste, dass die Mühle im Besitz von Charlotte Platen gewesen war, nun, da wollte er nicht weitergehen. Es war besser, keine Gewissheit zu haben. Wer auch immer die Mutter war, sie hatte einen Grund, dies zu verdecken. Wie sollte eine Zwanzigjährige dies verstehen? Auch Dorothy hätte das damals nicht verstanden. Wie soll eine heute Fünfunddreißigjährige akzeptieren, dass er immer noch so denkt?
    »Soll ich jetzt denken, du bist ein Feigling, anmaßend und nur auf dich bezogen?«
    »Jenny, das eine ist, dass es so aussieht und vielleicht auch so ist. Das andere ist die Gegenwart. Ja, ich habe befürchtet, dass es in diese Richtung geht. Dass es diese Dimension annähme, das habe ich mir nie vorgestellt. Sie war deine Mutter und es mag ein Unrecht sein, dass du es nicht wusstest. Ich habe sie ja nicht gekannt, nie von nahe gesehen. Alja meint, sie sei eine mutige Frau gewesen – hörst du mir überhaupt zu? Diese Frau hat nicht gewollt, dass du in ihrer Nähe bist. Ich habe mir jetzt wieder überlegt, warum sie für ihr Kind so entschieden hat. Sie geht und zieht das Milieu von Dorothy und mir den verqueren Verhältnissen von ›Holsten‹ vor. Man sagt, sie sei überspannt gewesen, Alja sagt, übersensibel. Sie wollte für ihr Kind eine Familie, die ihm Sicherheit und eine Ausbildung geben würde. Sie wollte jemanden wie Dorothy und mich zu deinen Eltern, ich bin der Großvater ihres Enkels, das ist doch, was ebenso zählt. Und sie haben doch auch die Mühle an Alja verkauft.
    Doch jetzt hör mir genau zu! Natürlich ist es wichtig, zurückzuschauen. Es ist deine Biografie. Doch du solltest das für jetzt abschließen.
    Nimm es mir nicht übel, aber ich bin Polizist. Der Selbstmord von Frau Platen muss in den Zusammenhang mit dem Tod ihres Liebhabers, Felix’ und Fred Roos’ gehören.
    Alles zusammen kann nur Wirtschaftskriminalität heißen. Die Anschläge auf deine Kanzlei fallen genau in die gleiche Zeitspanne. Ich glaube nicht an Zufälle. Ich denke, dass du beiläufig auf den Kopf geschlagen wurdest. Es ging nicht um dich, es ging um deinen Computer. Ich denke, man suchte Daten zu Frau Platen.
    Doch von heute an bist du nicht nur die Anwältin. Du könntest in Gefahr geraten, sobald jemand weiß, dass du ihre Tochter bist. Möglicherweise wäre dann sogar Noël in Gefahr. Unser einziger kleiner Vorsprung liegt darin, dass wir es jetzt wissen. Wer immer es ist, kennt erstens diese Tatsache nicht und kann zweitens nicht wissen, dass wir es jetzt wissen – du verhältst dich, und das kann lebenswichtig sein, als ob überhaupt nichts Besonderes wäre.«
    * * *
    Ich gehe auf den Friedhof. Ich gehe nicht direkt zum Marmormonument der Platens, stelle mich schräg daneben vor ein mir fremdes Grab, lese einen mir unbekannten Namen, Gilly. Wer mich sieht, macht sich keinen Gedanken, vor welchem Grab ich stehe. Von hier aus sehe ich das einfache Holzkreuz, das auf einen kleinen Erdhügel aufgepflanzt ist. Es lässt mir keine Ruhe, sie hat sich umgebracht, ist meine Mutter.
    Zumindest umgebracht hat sie ihr kleines Kind nicht, hat ihm sogar einen Namen gegeben, Geneviève, kleine Wacholderfrau.
    * * *
    Falls es eine Gefahr gäbe, bei hellem Tag ist der Gedanke jeweils absurd, er schleicht mich erst in der Dämmerung an, doch falls, dann kann man eine Gefahr ins Leere laufen lassen, indem man sich überraschend in Bewegung setzt, sich mit unberechenbarer Geschwindigkeit in nicht voraussehbarer Richtung bewegt. Noch immer fühle ich mich duselig. Die Beule am Kopf ist weg, stattdessen ist da ein etwas dumpfes Gefühl in der Brust, ein Schmerz.
    Knut kümmert sich darum, dass es Noël gut geht, schaut jeden Abend nach Dienstschluss bei uns herein. Heute schläft er schon wieder im Gästebett. Ich bin jedes Mal sehr

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