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Todesformel

Todesformel

Titel: Todesformel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Wyss
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es jedes Mal eine Erholung, am Steuer zu sitzen. Der Blickpunkt ist etwas erhöht, du bewegst dich, als schwämmest du auf einem Bach zur Stadt hinaus. Wir sagten am Telefon ›Pub‹, doch es ist besser, nicht dorthin zu gehen. Wir fahren in Richtung der ›Höhen‹, zu Alja.
    Gestern war Sven zu einem privaten Nachtessen eingeladen, bei einem der hohen Politiker der gleichen Partei. Es war ›gediegen‹, Sven hat für die Ehefrau ein Blümchen mitgebracht. Vor dem Kaffee verschwand sie sehr lange. Es kam zu einem offensichtlich geplanten Männergespräch mit gedankenschweren Pausen. Sie tranken Cognac, rauchten eine erlesen gute Zigarre. Ganz beiläufig kam das Gespräch auf seine Arbeit. Der Politiker redete kein Wort von diesem Fall, aber von Vorgesetzten, von Karrieremöglichkeiten, vom Verhältnis Wirtschaft – Staat. Er redete von Balance, Gemeinschaft und Gemeinwohl sowie von den Karrieremöglichkeiten eines Juristen, wie gehabt. – Es war ein unverfängliches Gespräch bis ins letzte Wort, Sven durfte nur nicht an die Toten denken.
    Er sei sitzen geblieben, habe abwechslungsweise am Cognac genippt und an der Zigarre gesogen.
    Ich schaue zur Seite, er reckt sein Kinn, seine Lippen sind schmal. Er redet verbissen: »Ich habe es satt. Ich lasse mich nicht manipulieren. Nach dem Gesetz ist Mord zu bestrafen. Sie können mich abberufen, sie können mich kaltstellen, doch vorher kläre ich diesen Fall. Wenn alle Stricke reißen, dann kann ich noch immer schauen, wie ich umsattle, entweder ich gehe Ziegen hüten oder ich werde Maler.«
    Fast lache ich, doch ich weiß, worum es geht. Mit seinem nächsten Schritt wird Sven seine Karriere bauen oder vermasseln. »Schau mich an. Ich habe mich zur Winkeladvokatin entwickelt, das ist die Konsequenz. Ohne Bennos Mietzahlungen für die Wohnung und ohne Dorothys Mietzahlungen für die Kanzlei könnte ich zusammenpacken. Ich allein verdiene den Lohn für Lukas, die Stundenfrau, unser Essen, die Steuern, die Krankenkassen, die Versicherungen und die Beiträge in die Pensionskasse. Neue Reifen schenkt mir jeweils Knut zu Weihnacht oder zum Geburtstag. Ich kann dir großzügig anbieten, bei mir einzusteigen, in der Kanzlei können wir ein Zimmer für dich frei machen.« Ich lache zur Seite, meine Ausführung, die ironisch gemeint war, ist belustigend lang geworden. Sven schaut mich an, überhaupt nicht lebensfroh, bringt kaum ein Lächeln hin.
    Ich konzentriere mich auf die Straße. Ich muss es ihm unbedingt beibringen, bevor wir bei Alja sind. Jetzt ist sowieso nicht die Zeit für noch so gut gemeinte Witze.
    »Bist du mein Freund, ein Freund, der blind alles für mich täte?« Wieder schaue ich rasch in sein Gesicht.
    »Schau auf die Straße, so Freund, dass ich keinesfalls in den Straßengraben gefahren werden will. Willst du eine Liebeserklärung hören? Die mache ich normalerweise nicht als gefährdeter Beifahrer. Doch für dich würde ich das Rechtssystem nach Lücken abklopfen oder aussteigen.«
    »Du wirst mir gleich keine Liebeserklärung mehr machen wollen, wenn du es weißt. Doch im Moment brauche ich einen absolut zuverlässigen Freund, den Liebhaber können wir verschieben. Du brauchst alle Fakten, bevor wir bei Alja sind. Also, du bist mein Freund wie ein Blutsbruder?«
    Sven legt seine Hand auf meine Hand am Steuer, klopft sie aufmunternd, fährt dann leicht darüber, dass ich beinah den Atem anhalte, nur beinah.
    »Jennifer, nun mach schon, was hast du verbrochen?«
    »Gut. Ich bin adoptiert. Es spielte keine Rolle, niemand wusste es, Dorothy und Knut waren für mich die Eltern.« Bin ich es, die da so leise redet? Stur schaue ich auf die Fahrbahn, das Ende einer Geschwindigkeitsbegrenzung, was hätte ich denn fahren sollen? »Erinnerst du dich, wie ich dir in deinem Büro sagte, ich hätte Meret Platen gerade eben das zweite Mal in meinem Leben gesehen? Es stimmt nicht, es war das dritte Mal. Das erste Mal war am Tag meiner Geburt. Sie ist meine leibliche Mutter. Sie selbst wusste es seit Ostern. Heute habe ich einen Ausflug gemacht, anstatt zu arbeiten, doch es hat nichts gebracht. Ich stecke bis zum Hals in einem großen Schlamassel. Schon nur, weil du jetzt weißt, dass du mir keine Liebeserklärung mehr machen wirst, das wäre jetzt Galgenhumor. Sag nichts.«
    Sven streckt mir sein Taschentuch hin. »Du siehst die Straße nicht genau mit nassen Augen.« Ich benötige kein Taschentuch, reiße mich zusammen.
    »Warum es für dich wichtig ist, als

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