Todesfrauen
vorstellen, dass die Patrouillen jeden Winkel im Auge behalten können.«
»Darauf zielt Spencers Vorschlag ja ab. Nach seinen Worten lässt sich dort kaum noch ein Wachsoldat blicken. Aber ich finde es trotzdem extrem gefährlich, sich freiwillig mitten in einen Haufen schießwütiger Amis zu wagen.«
Gabi widersprach nicht. Stattdessen bat sie darum, sich die Unterlagen über Grafenwöhr ausleihen und mit nach Hause nehmen zu können. Sina hatte nichts dagegen. Gleichwohl fiel es ihr schwer, ihre Freundin gehen zu lassen. Denn mit Gabrieles Abschied kehrte die Einsamkeit in Sinas kleine Wohnung ein – und mit ihr die verdrängten Emotionen.
Sina hatte Klaus am Ende ihrer wechselvollen Beziehung zu hassen gelernt. Dennoch weinte sie nun um ihn. Laut schluchzend, tränenreich, aus vollem Herzen.
10
Gabriele zählte sich nicht zu der Sorte von Menschen, die sich schnell ins Bockshorn jagen oder von äußeren Umständen in ihrem Schaffensdrang bremsen ließen. Die Sache mit Klaus war hart, grausam und äußerst tragisch. Dennoch dachte sie gar nicht daran, ihre nächsten Zukunftspläne zu überdenken. Nachdem sie die von Sina entliehenen Unterlagen über Grafenwöhr ausgiebig studiert hatte, gelangte sie zu dem Schluss, dass ein Treffen an diesem Ort heikel, jedoch keineswegs fahrlässig war. Da sie auch bei längerer Überlegung keinen Zusammenhang zwischen ihrem Unterfangen und Klaus’ Tod erkennen konnte, wähnte sie sich und ihre Freundin auf der sicheren Seite. Na ja, zumindest auf der halbwegs sicheren. Sie blieb also entschlossen, sich dieser Herausforderung zu stellen.
Da sie allerdings nicht gänzlich ohne Rückversicherung loslegen wollte, suchte sie nach einem dritten Eingeweihten: einem Komplizen, der sie im Fall eines Falles rauspauken könnte. Es hatte mal eine Zeit gegeben, in der Klaus eine solche Rolle übernommen hätte. Nun musste Ersatz her. Unwillkürlich dachte Gabriele an Diehl. Doch das konnte sie sich gleich wieder aus dem Kopf schlagen. Keinesfalls durfte sie einen Bullen ins Vertrauen ziehen. Dann könnte sie sich ja auch gleich selbst wegen Hehlerei anzeigen.
Sie grübelte eine ganze Weile weiter, während der Tee, der auf ihrem Wohnzimmertisch vor ihr stand, allmählich kalt wurde. Nachdem sie etliche Kandidaten aus ihrem näheren und entfernteren Bekanntenkreis als ungeeignet abgehakt hatte, blieb am Schluss nur ihr Bruder übrig. Dieses Ergebnis ihrer Kandidatensuche behagte ihr ganz und gar nicht. Aber letztendlich gab es keine Alternative. Auch er würde wohl kaum begeistert sein, über das Wohl seiner Schwester zu wachen und sie möglicherweise aus einer Klemme befreien zu müssen. Daher müsste sie behutsam vorgehen und durfte ihn mit ihrem Anliegen weder überfallen noch vor den Kopf stoßen. Sie nahm sich vor, freundlich zu sein, als sie seine Nummer wählte.
»Hallo, Friedhelm? Ich bin’s. – Was? Es ist gerade ungünstig? Ich soll später anrufen? – Nein, das geht nicht. Ich habe etwas sehr Wichtiges mit dir zu besprechen. – Ja, jetzt! Die Sache duldet keinen Aufschub. – Nein, das können wir nicht morgen erledigen. Du musst sofort herkommen, damit ich dich instruieren kann. – Was? Ich soll dir keine Vorschriften machen? Was meinst du denn mit Vorschriften? Ich habe dich lediglich gebeten, in meinen Laden zu kommen. Das ist doch keine Vorschrift. – Wie? Du findest, dass ich mich aggressiv anhöre? Das ist doch Unsinn! Wenn hier jemand aggressiv ist, dann bist es du mit deinen dauernden Widerworten. Damit hast du damals schon Mama und Papa auf die Palme bringen können.«
Eine halbe Stunde später bimmelte die Ladenglocke, und ein griesgrämiger Friedhelm betrat das Antiquitätengeschäft. Gabriele begrüßte ihn frostig, denn nach dem Telefonat hatte sie es beinahe bereut, ihren Bruder mit ins Boot geholt zu haben. Während der schlaksige Kerl seinen Trenchcoat abstreifte, legte Gabriele ihm ihre Situation dar und bat ihn darum, die Rolle des Aufpassers zu übernehmen.
»Du hast dabei eigentlich nicht viel zu tun. Du wartest einfach hier im Laden, bis wir zurück sind. Wir machen eine Uhrzeit aus, zu der wir uns spätestens bei dir melden oder zurückkommen. Nur im unwahrscheinlichen Fall, dass etwas passiert und wir länger aufgehalten werden, müsstest du aktiv werden.«
»Und wie?«, fragte Friedhelm widerstrebend. »Soll ich dann die Polizei verständigen?«
»Nein, nein!« Gabriele winkte entschieden ab. »Das wirklich nur im allergrößten
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