Todesfrauen
Notfall. Fürs Erste würde es reichen, wenn du deinen Allerwertesten in dein Auto schwingst – für das übrigens ich die monatlichen Tilgungsraten zahle – und nach Grafenwöhr fährst. Dort schaust du dich um und siehst zu, dass du etwas über unseren Verbleib in Erfahrung bringen kannst. Wahrscheinlich ist spätestens dann ohnehin wieder alles okay mit uns, aber du weißt ja: Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste!«
»Also gut«, murmelte Friedhelm und blickte seine Schwester scheel an. »Was springt denn für mich dabei raus?«
Gabriele glaubte nicht richtig zu hören. Erwartete ihr eigener Bruder ernsthaft von ihr, dass sie dafür zahlte, wenn er einmal im Leben auf sie aufpassen sollte?
»Habe ich dir nicht soeben einen dezenten Hinweis darauf gegeben, dass ich deinen fahrbaren Untersatz finanziere – und so manches andere? Reicht das nicht allmählich? Meinst du nicht, es wird Zeit, dass du öfter mal eine Gegenleistung für meine finanzielle Unterstützung erbringst?« Während Gabriele redete, schaukelte sich ihre Wut immer weiter auf.
Ehe sich Friedhelm versah, hatte er nicht nur die Aufgabe am Hals, in einigen Tagen über seine Schwester zu wachen, sondern bekam außerdem eine Beschäftigung aufgebrummt, die schon heute zu erledigen war: Gabriele verdonnerte ihn dazu, neue Ware aus ihrem Kastenwagen zu laden und ins Lager zu schleppen.
»Er steht hinten in der Garage. Am besten, du fängst gleich damit an!«, sagte sie in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.
Schlurfenden Schrittes und unverständliche, aber sicherlich bitterböse Worte grummelnd, steuerte Friedhelm den rückwärtigen Ausgang des Geschäfts an. Er trat an die frische Luft hinaus in einen für diese Gegend typischen Hinterhof. Während zu den Frontseiten die stolzen Fassaden mit ihren vornehmen Sandsteinverkleidungen und aufwendigen Steinmetzarbeiten dominierten, war im rückwärtigen Bereich meist nur schnöder roter Backstein verbaut worden. Einige zierliche Balkone und rankende Pflanzen in sattem Grün gaben dem Ganzen dennoch ein besonderes Flair, das auch vom morbiden Charme des Maroden zehrte.
Die Garagen selbst waren wenig ansehnlich und stammten noch aus den 50ern. Friedhelm wuchtete das Wellblechtor zu Gabis Unterstellplatz auf. Die Scharniere quietschten dabei entsetzlich. Im Halbdunkel stand der VW Bulli. Die Garage war so schmal, dass Friedhelm kaum an dem Wagen vorbeikam. Schon gar nicht würde er ihn in dieser Enge entladen können. Folglich schloss er die Fahrertür auf, zwängte sich hinters Steuer und ließ den Motor an.
Hustend und stotternd erwachte der betagte Heckmotor zum Leben. Er ratterte bedenklich, verschluckte sich, als Friedhelm allzu forsch mit dem Gaspedal spielte, und brauchte ein Weilchen, bevor er sich beruhigte und gleichmäßig vor sich hinblubberte. Friedhelm, der den Wagen und dessen ganz spezielle Tücken bereits kannte, wusste, dass damit erst die halbe Miete bezahlt war. Denn als Nächstes galt es, den Gang einzulegen. Er versuchte es und kassierte dafür ein laut kreischendes Aufjaulen des Getriebes.
»Verdammter Mist!«
Er wagte einen zweiten Anlauf, rührte mit dem Schaltknüppel, während er kräftig auf die Kupplung trat. Wieder kreischte es ohrenbetäubend, doch diesmal rastete etwas ein. Erleichtert sah Friedhelm auf, ließ sachte die Kupplung kommen und gab Gas. Der VW setzte sich in Bewegung. Nur leider in die falsche Richtung! Statt nach vorn aus der Garage heraus, fuhr der Bulli rückwärts. Ehe Friedhelm etwas dagegen tun konnte, rumpelte der Kleinbus gegen die an der Rückwand lagernden Reifenstapel und Regale. Es krachte, schepperte und toste.
Friedhelm trat auf die Bremse, würgte dabei den Motor ab. Er schimpfte vor sich her, während der Krach in seinem Rücken allmählich verebbte. Eine schöne Bescherung, dachte er wütend und frustriert zugleich. Er wollte den Motor ein zweites Mal starten, als er unter all den Geräuschen um sich herum einen menschlichen Laut wahrnahm. Es war ein Stöhnen. Kehlig und tief.
Friedhelm unterließ seinen neuen Startversuch und schaute sich um. In der Garage war es nach wie vor dunkel, und er konnte durch die Heckscheibe kaum etwas erkennen. Also öffnete er die Tür, stieg aus und wollte gerade selbst nachsehen, was sich am Heck des Wagens abspielte, als er jäh gestoppt wurde.
Ein Schatten stürmte auf ihn zu. Groß, mächtig, alles andere verdrängend. Friedhelm wurde unsanft hinausgestoßen, strauchelte, fiel auf den
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