Todesfrauen
von Fleischsalat und Sandwich abgelaufen, sodass nur die Wienerle übrig blieben. Diehl war es zu umständlich, heißes Wasser aufzusetzen, und aß die Würste daher kalt. Er fand sogar noch einen Rest Senf, den er aus einer nahezu leeren Tube herausquetschte.
Auf diese Weise gestärkt, regenerierten sich auch seine Lebensgeister. Er schaute auf die Uhr: Der Abend war immer noch jung! Er nahm sich vor, sein Glück erneut auf die Probe zu stellen und es ein weiteres Mal bei Gabriele zu versuchen. Er wählte erneut ihre Nummer, wartete geduldig das Tuten ab.
Diesmal hatte er Erfolg: Schon nach kurzer Zeit wurde am anderen Ende der Leitung abgenommen.
Sina sackte zusammen und wurde abermals grob in die Senkrechte gebracht. In ihren Ohren pochte es. Gleichzeitig wurde ihr angesichts des Luftmangels schwindelig. Sie konnte kaum noch einen klaren Gedanken fassen. Die unmittelbare Bedrohung, jede Sekunde von einer Gewehrkugel getroffen zu werden, hielt sie jedoch bei Bewusstsein.
Gabriele spürte ihr Herz mit der Wucht eines Presslufthammers wummern. Sie machte sich klar, dass ihr letztes Stündlein geschlagen hatte. Man würde sie hinrichten. Ein gezielter Kopfschuss aus nächster Nähe, und das war’s. Ade, schöne Welt! Gabriele wurde übel.
Diehls aufflammenden Erwartungen wurden erstickt, kaum dass er sich gemeldet hatte. Am Telefon hatte er nicht etwa Gabriele erwischt, sondern ihren Bruder, von dem er nach den wenigen bisherigen Begegnungen nicht besonders viel hielt. Seine Enttäuschung ließ er sich jedoch nicht anmerken, sondern erkundigte sich höflich, ob die Schwester zu sprechen sei. Friedhelm erklärte in schnodderigem Ton, dass Gabriele gemeinsam mit Sina unterwegs sei und sich noch nicht zurückgemeldet habe.
In Diehls Ohren hörte sich Friedhelms Erklärung wie ein Vorwurf an, und deshalb erkundigte er sich: »Wann wollte sie denn zurück sein?«
»Eigentlich schon vor einer Stunde. Aber das liebe Schwesterlein glänzt ja nicht gerade durch Pünktlichkeit. War nie ihre Stärke.«
Diehl brannte es auf der Zunge, danach zu fragen, wo die beiden Frauen denn hingefahren seien. Er wählte jedoch einen Umweg, um diese Information zu bekommen: »Hat man Sie wohl damit betraut, das Geschäft so lange zu betreuen?«
»Ja«, kam es wie aus der Pistole geschossen. »Aber der Laden schließt um 18 Uhr, und seitdem hänge ich hier herum und verplempere meine Zeit, um auf die werten Damen zu warten.«
»Gehen Sie doch einfach heim. Mit Kunden müssen Sie nach Ladenschluss ja nicht mehr rechnen.«
»Nee.« Friedhelm druckste herum. »Ich habe denen zugesagt, dass ich solange bleibe, bis sie hier wieder eintrudeln.«
»Sind die beiden wohl weit weggefahren?«
»Schon möglich. Keine Ahnung.«
Diehl merkte sofort, dass sein Gesprächspartner log. Er wusste sehr wohl, wo sich seine Schwester und ihre Freundin aufhielten. Was mochten die beiden schon wieder aushecken? Ging es um ein Geschäft, über das er als Polizist nicht Bescheid wissen sollte? »Vielleicht haben sie ja eine Wagenpanne und brauchen Hilfe.«
»Glaube ich nicht. Und wenn doch, wissen die sich schon selbst zu helfen. Sina ist ja fit im Umgang mit Werkzeugen.«
»Ja, aber sie könnten doch anrufen und erklären, warum es später wird.«
»Da, wo die sind, ist ganz bestimmt keine Telefonzelle in der Nähe. Das können Sie vergessen.«
Erwischt!, dachte Diehl. »Ach, Sie wissen also doch, wo sich Ihre Schwester aufhält.«
»Öh … – nur vage. Aber jetzt habe ich keine Zeit mehr zum Telefonieren. Ich werde ihr ausrichten, dass Sie angerufen haben. Schönen Abend!«
Es klackte in der Leitung. Friedhelm hatte aufgelegt, und Diehl starrte verwundert auf den Telefonhörer in seiner Hand. Was, fragte er sich, wurde da gespielt?
Die Zeit schien stillzustehen. Im immer schwächer werdenden Kampf gegen den Luftmangel und die stockende Blutzufuhr für das Gehirn wartete Sina auf den scharfen Knall des Schusses, der sie treffen und tödlich verletzen würde. Es konnte nur noch eine Frage von Sekunden sein. Obwohl sie unter dem Sack nahezu blind war, sah sie die Patrone förmlich auf sich zufliegen. Sie konnte ahnen, wie sich das Geschoss durch den dünnen Stoff des Sackes bohren und gleich darauf in ihre Stirn eindringen würde. Dermaßen plastisch entfaltete sich ihre Vorstellung, dass sie meinte, sogar den kurzen stechenden Schmerz spüren zu können, den die Kugel beim Eintauchen in ihrem Kopf auslösen würde.
Auf unbestimmte
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