Todesfrauen
des Schreckens verlassen können?
Die Kälte der Nacht umfing sie, als sie unter dem Wellblechdach hervor und ins Freie traten. Sie hatten bloß noch eines im Sinn: so schnell wie möglich zurück zu ihrem Wagen zu laufen und nach Hause zu fahren! Ihr Plan, die Gemäldesammlung, das viele Geld, das ihnen in Aussicht stand – all das hatte überhaupt keine Bedeutung mehr. Ihr Fluchtinstinkt dominierte und verdrängte alles andere.
Sie preschten voran, hofften auf ein schnelles Ende dieses zum Albtraum mutierten Ausflugs, bangten um ihr Wohl, beschworen das Schicksal – und wurden unmittelbar vorm Ausgang des Gehöfts in ihre Schranken gewiesen. Sie blickten in die Mündungen mehrerer Gewehre und Pistolen, die im Lichtkegel ihrer Taschenlampe auftauchten und zweifelsfrei auf sie gerichtet waren.
Die Amis!, war Sinas erster Gedanke bis sie sah, dass der Kleidung der Waffenträger nichts Militärisches anhaftete. Die Männer, die ihnen mit grimmigen Gesichtern gegenüberstanden, trugen zivil. Und die Gesichter waren ihr nicht unbekannt. Zumindest eines nicht.
»Der irische Bauer!«, schrie Sina entsetzt.
Gabriele, die beim plötzlichen Stopp beinahe über ihre eigenen Beine gestolpert wäre, reagierte nicht weniger schockiert: »Oh mein Gott!«, stieß sie aus. »Es war eine Falle!«
Diehl, vom süffigen Rotwein beseelt, machte sich selbst Mut und überwand seine Skrupel. Beherzt griff er zum Telefonhörer. Er wählte Gabrieles Nummer, die er inzwischen auswendig kannte. Geduldig wartete er, lauschte dem Tuten des Rufzeichens, wartete weiter. Niemand nahm ab.
Er harrte länger aus, als es die Vernunft gebot, bevor er den Hörer zurück auf die Gabel legte. Wo konnte Gabriele um diese Uhrzeit nur sein, fragte er sich. Inzwischen war es weit nach Ladenschluss. Soweit er wusste, klingelte Gabrieles Telefon auch oben in ihrer Wohnung, wenn sich im Geschäft niemand mehr aufhielt. Also, wo konnte sie sein? Beim Spazierengehen? Wohl kaum. War sie noch einmal weggefahren? Aber wohin? In einen der großen Supermärkte, die neuerdings bis 20 Uhr geöffnet hatten? Möglich, aber es gab noch weitere Optionen.
Diehl wich der Alternative, die ihm in den Sinn kam, zunächst aus und versuchte, diese wenig schöne Aussicht gar nicht erst aufkeimen zu lassen. Doch dann konnte er sich dem drängenden Gedanken nicht länger entziehen. Er musste sich die Frage stellen: War Gabriele bei einem anderen Mann?
Sie war ungebunden, frei, konnte tun und lassen, was sie wollte. Es gab keinerlei Grund für sie, allein und einsam in ihrer Wohnung zu versauern. Natürlich hatte sie Männerbekanntschaften, das musste sich Diehl vor Augen halten. Er war sicher nicht der Einzige, der sie ausführte – und vielleicht gingen die Beziehungen zu den anderen weiter als ihre erst allmählich entstehende Freundschaft.
Diehl ließ die Schultern hängen. Enttäuscht schenkte er sich Wein nach.
Die Frauen hatten nicht die Gelegenheit, sich auf die neue Situation einzustellen oder gar zu reagieren. Zwei der Männer lösten sich aus der Gruppe, kamen blitzschnell auf sie zu und stülpten ihnen Säcke über die Köpfe und zogen sie zugleich fest zu. Sina verspürte unmittelbar einen starken Würgereiz. Instinktiv riss sie die Hände nach oben, um die straffe Schnur zu lockern. Doch die Arme wurden brutal nach unten geschlagen. Sina stieß einen schmerzverzerrten Laut aus. Schreien konnte sie nicht mehr, dafür fehlte ihr die Luft.
Auch Gabriele kämpfte vergebens gegen ihre Zwangslage an. Der Sack nahm ihr den Sauerstoff zum Atmen. Die Schnur drückte auf ihren Kehlkopf. Sie konnte sich kaum auf den Beinen halten. Was geschah mit ihnen? Was hatten der Killer und seine Spießgesellen mit ihnen vor?
Sina stöhnte, japste, strauchelte. Als sie nahe dran war, der Länge nach hinzufallen, griff ihr jemand grob in die Armbeuge und hielt sie aufrecht.
Dann hörte sie gleichzeitig mit Gabriele das charakteristische Geräusch, das von einem Gewehr ausgeht, wenn es durchgeladen wird.
Die Vernunft gebot es ihm, von einem weiteren Glas Rotwein abzusehen, denn Diehl musste befürchten, dass der Alkohol ihn nicht beflügeln, sondern – im Gegenteil – seine negative Stimmungslage verstärken würde. Er raffte sich auf, ging zum Kühlschrank und dachte beim Blick auf die magere Auswahl an Vorräten darüber nach, ob er lieber Wiener Würstchen, ein abgepacktes Sandwich oder einen Fleischsalat essen sollte. Wie sich herausstellte, waren die Verfallsdaten
Weitere Kostenlose Bücher