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Todesfrist

Todesfrist

Titel: Todesfrist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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vermisst gemeldet?«
    »Vermutlich wurde sie am Abend des 20. März entführt.«
    »Wieder einmal der 20.«, murmelte sie. Alles passte ins Schema.

    Sneijder drehte sich zu ihr nach hinten. »Gute Arbeit, Eichkätzchen.«
    »Eichkätzchen?«, wiederholte Kohler.
    »Vergessen Sie das gleich wieder«, sagte Sabine. Was war Sneijder doch für ein Idiot! Am liebsten wäre sie im Erdboden versunken.
    »Ihr ist aufgefallen, dass Carl Boni seine Opfer am 6. beziehungsweise am 20. eines Monats entführt«, erklärte Sneijder. »Magische Daten. Carl wurde am 6. November geboren, und sein Vater starb am 20. Dezember.« Er blickte wieder aus dem Seitenfenster. »Mit der Entführung von Carmen Boni hat der ganze Wahnsinn begonnen. Aber Struwwelpeters Vorgehensweise passt nicht ins übliche Schema …« Sneijder schien mittlerweile ein Selbstgespräch zu führen. »Er hält seine Mutter über einen langen Zeitraum bei lebendigem Leib in einer Betonsäule gefangen, um sie in den Wahnsinn zu treiben. Aber er hat niemanden darüber informiert. Kein Anruf, kein Telefonrätsel, kein Hinweis, kein Geschenk. Weshalb kam ihr dieser Sonderstatus zu?«
    »Offensichtlich wollte er seiner Mutter keine Chance auf Rettung geben«, schlug Sabine vor.
    »Das ist der springende Punkt.« Sneijder blickte nach vorne. »Wie würde er reagieren, falls jemand das Telefonrätsel innerhalb von achtundvierzig Stunden löst? Würde er tatsächlich riskieren, sein Opfer am Leben zu lassen?« Er drehte sich zu Kohler. »Wir müssen Carl Bonis Leben durchleuchten. Alle seine Kontakte.«
    »Glauben Sie, dass wir Däumchen drehen?«, knurrte Kohler. Er fuhr über einen Platz, den ein modernes Gebäude aus Glas säumte, und steuerte auf die Tiefgarage zu. »Im Moment sind außer mir fünf weitere Kollegen an dem Fall dran. Im Büro haben wir vielleicht schon eine vollständige Akte über ihn.«
     
    Der diensthabende Arzt auf dem Revier hatte die Bisswunde an Sabines Hand desinfiziert und verbunden. Nun saß sie mit Sneijder in der Kantine des Bundeskriminalamts Wien und aß aus
einer Alutasse eine lauwarme Krautroulade, die förmlich in Tunke ersoff. Dazu trank sie eine Diet Coke. Den homöopathischen Kaffee aus dem Automaten hatte sie gekostet und großzügig ignoriert. Kohler hatte ihnen ihr Reisegepäck bringen lassen. Sabines Koffer lehnte an der Fensterbank. Gelegentlich sah sie auf den Josef-Holaubek-Platz, während ihre Gedanken um ihre Schwester und ihre Eltern kreisten. Wie ging es Monika und den Mädchen? Wie ihrem Vater? Doch eine Sache machte ihr am meisten zu schaffen. Bisher hatte sie nicht wirklich um ihre Mutter getrauert. Warum weinst du nicht? Müsste sich alles nicht viel schlimmer anfühlen? Hast du deine Mutter nicht geliebt? Bist du eine schlechte Tochter?
    Das Klappern der Tastatur riss sie aus den Gedanken. Sneijder hatte seinen roten Samsonite-Koffer geöffnet, den Laptop hochgefahren und sich sechs lange Nadeln in die Druckpunkte des Handrückens gesteckt. Er sah aus wie ein Stachelschwein, das auf der Tastatur tippte. Außerdem hatte er um eine Kanne Vanilletee gebeten, doch nur Kamillentee erhalten. Zu essen brauchte er nichts, was Sabine bei der hageren Statur nicht wunderte.
    »Ich habe dem BKA Wiesbaden einen kurzen Bericht geschickt, dass die vier Morde in Deutschland zusammenhängen und mit den Vorfällen in Österreich zu tun haben, ein Tatverdächtiger festgenommen wurde und wir an der Aufklärung des Falls dran sind«, sagte Sneijder. »Ihr Vater wird übrigens noch heute aus der Untersuchungshaft entlassen.«
    »Danke.« Sabine starrte auf ihr Handy. Keine Nachricht. Ihr Exschwager hätte sie wenigstens anrufen können. Doch möglicherweise wusste er von der Entlassung noch nichts.
    Sie sah in Sneijders geöffnetem Koffer einige Bücher auf Anzug und Krawatten liegen. Biografien mit geknickten Buchrücken. Die Ausbeute seiner letzten Besuche in den Haital-Filialen. Sie sagte nichts dazu. Eines Tages würden sie ihn beim Diebstahl erwischen, und dann wäre sein Hass auf die Buchhandelskette noch größer als vorher. Der Mann war besessen und brauchte dringend
Hilfe, doch er würde diese Hilfe nicht annehmen – egal, von wem sie käme.
    Außerdem benötigte er noch Hilfe ganz anderer Art, wie ihr wieder bewusst wurde, als er sich eine selbst gedrehte Zigarette ansteckte. Mit dem süßen Geruch von Gras vernebelte er die Kantine. Doch Sabine gingen im Augenblick zu viele Gedanken durch den Kopf, als dass sie sich darüber

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