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Todesfrist

Todesfrist

Titel: Todesfrist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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geht’s mir denn?«

    Carl lehnte am Türrahmen. Er schmunzelte nicht über seinen Witz. Seine Miene war todernst. Er schob einen Kaugummi im Mund herum. Sein Finger lag noch auf der Klingel.
    »Sie haben getrunken«, stellte Rose fest.
    Carl schloss die Augen und reckte die Nase. »Sie auch! Uh, Frau Doktor trinkt Wein.«
    Er trug Jeans und eine leichte Lederjacke. Ihr fiel auf, dass seine Nägel und Fingerkuppen nicht wie sonst ölverschmiert waren.
    »Herr Boni«, ermahnte sie ihn förmlich. »Wir haben heute keinen Termin.«
    Er nahm die Hand von der Klingel und musterte sie ungeniert, von den engen Jeans über die Bluse bis zu der braunen selbst gestrickten Stola, die sie über den Schultern trug. Auf der Modeschmuckkette aus Holz, die teilweise ihr Dekolleté verdeckte, blieb sein Blick hängen.
    »Seit unserer letzten Sitzung vor zwei Monaten versuche ich, Sie zu erreichen«, fuhr Rose fort. »Sie gehen weder ans Telefon, noch beantworten Sie meine Nachrichten auf Ihrer Mobilbox und reagieren nicht einmal auf meine Briefe.«
    »Hier bin ich.«
    »Das sehe ich. Fein! Nicht einmal Ihr Arbeitgeber weiß, wo Sie stecken.«
    Er hob die Augenbrauen. »Sie haben bei Ruben angerufen?«
    »Ihr Vorgesetzter ist übrigens nicht gut auf Sie zu sprechen.«
    »Der Alte kann mich mal. Ich habe vor zwei Monaten gekündigt. Der war ziemlich sauer. Sie hätten sein Gesicht sehen sollen.« Carls Miene war immer noch ernst. Er spuckte ins Blumenbeet neben der Eingangstür.
    Roses Gedanken überschlugen sich. Bestimmt wusste Ruben, dass das Gericht seinem Mechaniker Therapie statt Strafe auferlegt hatte. Merkwürdigerweise hatte er Carls Fernbleiben jedoch nicht dem Gericht gemeldet. Andernfalls hätte sich Richterin Lugretti mit ihr in Verbindung gesetzt. Aber das konnte noch geschehen. Sollte rauskommen, dass Carl seit zwei Monaten arbeitslos
war und seinen Therapieterminen nicht nachkam, würde das Gericht ihn zweifellos befragen wollen und Einsicht in ihre Akten fordern. Dann müsste sie die Unterlagen fälschen, damit niemand erfuhr, dass sie Carl mit einem Placebo hereingelegt hatte.
    Rose blickte sich um. Ihre Klientin mit der Essstörung war bereits gefahren. Auf dem Parkplatz war niemand. Auch Carls klapprigen Kastenwagen von Rubens Werkstatt sah sie dort nicht.
    »Sind Sie zu Fuß hier?«
    »Mit meinem neuen Wagen.« Er drückte zweimal hintereinander auf einen Funkschlüssel. Die Lichter eines dunkelblauen zweitürigen Ford Fiestas blinkten auf.
    Rose bemerkte Carls zerkaute Fingernägel. Die Haut fehlte an jenen Stellen, wo eingetrocknetes Blut im Nagelbett klebte. Kein gutes Zeichen.
    »Ich war kurz davor, eine Stellungnahme ans Gericht zu schreiben, weil Sie Ihrer Pflicht nicht nachkommen, die Termine einzuhalten. Ich werte das als Therapieabbruch.«
    Tatsächlich hatte sie den Bericht an Petra Lugretti schon getippt, aber noch nicht abgeschickt, weil sie hoffte, dass Carl sich doch noch bei ihr melden würde. Falls nicht, würde er per Haftbefehl gesucht, und das Gericht würde höchstwahrscheinlich entscheiden, dass er seine Strafe von drei Jahren absitzen musste. Zum Glück war er jetzt aufgetaucht – wenn auch zu einem ungünstigen Zeitpunkt.
    »Dann sollten wir die nächste Sitzung schleunigst nachholen«, schlug er vor.
    »Gute Entscheidung – aber nicht jetzt.«
    »Nein? Interessiert es Sie nicht mal, wie dreckig es mir in den letzten zwei Monaten gegangen ist?«, fragte er. »Oder ist es der Frau Doktor lieber, wenn sie es aus der Zeitung erfährt?«
    Sie trat zur Seite. »Kommen Sie herein.«
    »Oh, vielen Dank.« Er klebte den Kaugummi über den Doktortitel auf ihrem Türschild und ging in den Vorraum. »Und nein danke, für mich keinen Wein.«

    Er warf sich im Therapiezimmer auf die Couch, als wäre er hier zu Hause. »Was hören Sie da für einen Scheiß?«
    Rose schaltete den CD-Player aus und setzte sich. »Vereinbaren wir zwei neue Termine«, schlug sie vor.
    »Nicht nötig.«
    »Nicht nötig?«, wiederholte sie. »Weshalb?«
    Er grinste. »Angenommen, Sie würden den Grund kennen, wie könnte er lauten?«
    Sie fühlte sich auf den Arm genommen. Außerdem hatte sie keine Lust, mit einem betrunkenen Klienten die Rollen zu tauschen.
    »Könnte der Grund lauten: weil Sie mich lächerlich gemacht haben?«, fragte er.
    Ein flaues Gefühl breitete sich in Roses Magen aus.
    »Könnte der Grund lauten: weil Sie mich hintergangen und mein Vertrauen missbraucht haben?«, fuhr er fort.
    Rose stieg eine

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