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Todesfrist

Todesfrist

Titel: Todesfrist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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Bücherschränke und das Sims des offenen Kamins wandern ließ. Die dreißigbändige Brockhaus-Enzyklopädie, in schwarzem Leder und mit goldenem Buchrücken, stand wuchtig auf Augenhöhe in einem Regal über die gesamte Länge des Zimmers verteilt. Dazwischen thronten Franks Golfpokale und eine schwere Eule aus Marmor, die verächtlich auf Helen herabblickte. Sie war nicht hier, um das Tablett mit dem Kaffeeservice in die Küche zu tragen oder den Staub von den Regalen zu wischen – das sollte er verdammt noch mal selbst tun –, sondern um in seinen privaten Unterlagen zu schnüffeln.
    Sie ging über den nagelneuen Parkettboden und öffnete das Fenster. Frank hatte am Wochenende wieder einmal eine Zigarre geraucht und vergessen, es zu kippen. Die Jalousie war unten, die Lamellen geschlossen. Ein muffiger Geruch hing im Raum. Typisch Frank. Als er bei ihr eingezogen war, hatte sie ihm den schönsten Raum des ganzen Hauses gegeben, und er ließ das Zimmer verkommen.
    Helen knipste die Schreibtischlampe an. Auf dem Tisch türmten sich Dutzende mit Bindfaden zusammengehaltene Aktenstapel. Unterlagen aus der Pathologie, Protokolle von Zeugenvernehmungen, Berichte der Spurensicherung und Material für Franks Vorlesungen an der Juristischen Fakultät.

    »Mein Gott«, seufzte sie. Sogar auf dem Boden stapelten sich Ordner und lose Dokumente. Dazwischen standen Biosäfte mit Limettengeschmack. Sei wann trank Frank dieses Zeug? Die Haltbarkeit war vor Monaten abgelaufen. Die Flaschen mussten schleunigst in den Müll. Krawatten und Sakkos hingen über der Stuhllehne, und in mindestens drei Aschenbechern lagen erkaltete Zigarren. Wie sollte sie hier etwas finden?
    Sie setzte sich an den Schreibtisch und legte die Hand auf den Messinggriff der Schublade. Während der zwei Ehejahre hatte sie Franks Privatsphäre stets respektiert und ihn nie belogen. Sollte sie das Vertrauen, das sie ihm entgegenbrachte, nun schlagartig verloren haben? Vielleicht gab es einen plausiblen Grund, weshalb er sie heute Morgen belogen hatte? Vielleicht aber auch nicht, Dummchen, sagte eine andere, weniger naive Stimme in ihr. Möglicherweise hatte er Geheimnisse vor ihr. Einer Sache war sich Helen ziemlich sicher: Frank wusste etwas über ihre Klientin Anne Lehner. Zu rasch hatte er geleugnet, sie zu kennen. Helen wollte die Lade aufziehen, doch das Holz klemmte. Abgesperrt. Ebenso die Rollcontainer zu beiden Seiten des Lederstuhls.
    Aus welchem Grund sollte Frank in ihrem Haus die Schubladen versperren? Fürchtete er sich vor Einbrechern? Nein, damit du nichts findest, Helen! Die Stimme in ihrem Kopf begann lästig zu werden.
    Sie ging zu Franks Kleidung, die über dem Rattanstuhl vor dem offenen Kamin hing, und durchsuchte die Hosen- und Hemdtaschen. Kein Schlüssel. Die antike Pendeluhr in der Zimmerecke schlug halb fünf. Frank musste jeden Moment eintreffen. Zumindest hatte er am Morgen behauptet, am späten Nachmittag heimzukommen. Aus dem Büro! Was für ein Witz! Zumal seine Aktentasche neben dem Schreibtisch lehnte. Helen öffnete die Lederschlaufe und zog die Falttasche auseinander. Kugelschreiber und Notizhefte steckten neben handschriftlichen Protokollen. Sie öffnete das Seitenfach. Hundertzwanzig Euro befanden sich darin, eine Tankkarte, Streichhölzer, Büroklammern und …

    Helens Mund wurde trocken.
    »Das gibt’s doch nicht!«
    Sie zog zwei in blaue Folie verschweißte Kondome aus der Tasche und betrachtete sie. Das Ablaufdatum war erst in drei Jahren. Sie wusste, dass Frank keine Kondome verwendete. Das war nicht nötig. Zumindest nicht bei ihr. Sie konnte keine Kinder bekommen. Vielleicht für einen Freund?
    Na klar, sagte die Stimme in ihrem Kopf. Für seinen besten Freund!
    Helen bekam schweißnasse Hände.
    Wozu brauchte er die?
    Um sich nicht anzustecken, Dummchen!
    Bei wem?
    Darauf hatte die Stimme in ihrem Kopf keine Antwort.
    Helen stopfte die Kondome zurück in die Tasche. Am Boden des Fachs spürte sie einen kleinen Schlüssel, den sie herauszog. Sie führte ihn ins Schloss der Schublade. Er passte. Langsam zog sie die Lade auf. Gleichzeitig fürchtete sie sich vor dem, was sie finden würde.
    Brieföffner, Bleistifte, Streichhölzer, eine Kiste Davidoff, Fingernagelknipser, zwei alte SIM-Karten und ein Schlüsselbund. An dem Metallring hingen zwei kupferfarbene Schlüssel. Ein großer für ein Haustor, wie sie vermutete, und ein kleiner für eine Wohnungstür. Sie kannte keinen der beiden. Vielleicht waren es die

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