Todesfrist
Maarten Sneijder das Gebäude der Gerichtsmedizin. Hirnschall hatte wohl mehr als drei knappe und präzise Sätze benötigt, um die Obduktionsergebnisse zusammenzufassen. Ohne sich nach Autos umzusehen, überquerte Sneijder die Straße und ging direkt auf die gegenüber liegende Buchhandlung zu. Hier hatte Haital vor Jahren eine neue Filiale eröffnet. Zweistöckig mit Cafeteria. Genau an der Ecke Goethe- und Lessingstraße, was zu der Buchhandlung passte. Sneijder verschwand durch die Drehtür. Sie lesen wohl nicht viel, äffte Sabine seinen Tonfall in Gedanken nach.
Sie raffte die Blätter des Autopsieberichts zusammen, ließ sie in ihrer Tasche verschwinden, zahlte und verließ das Pub. Ob er wollte oder nicht – sie würde Sneijder in der Buchhandlung ein Gespräch aufzwingen.
Maarten Sneijder saß im oberen Stockwerk in der Cafeteria, die sich neben der Kinderbuchabteilung befand. Hinter ihm standen die Regale mit den Bilderbüchern. Nur wenige Besucher saßen in der Leseecke. Sneijder hatte sich einen Becher Schwarztee aus dem Automaten geholt, saß auf einem bequemen roten Sofa, die Beine übergeschlagen, und las in einer dicken Biografie von Virginia Woolf. Hatte er nichts Besseres zu tun?
»Spannend?«, fragte Sabine.
Er blickte auf. »Wie man es nimmt.« Er sah nicht gesund aus. Schweiß stand auf seiner Stirn. »Virginia Woolf hat Selbstmord begangen. Sich mit einem schweren Stein im Mantel in den Fluss gestürzt. Auch eine Art zu ertrinken.«
Ertrinken! Weshalb hatte er das gesagt? Sabine ließ sich nichts anmerken. »Darf ich mich setzen?«
Er steckte ein Lesezeichen ins Buch und klappte es zu. »Kann ich leider nicht verhindern. Das ist ein öffentlicher Ort.«
Er war so charmant wie eine Gift sprühende Kobra, die noch nicht gefrühstückt hatte. Sabine setze sich auf einen Stuhl. Sie kam gleich zur Sache. »Wie haben Sie von meiner Anfrage an Daedalos erfahren?«
Sneijder setzte sein Leichenhallenlächeln auf. »Ich arbeite mit Datenbanken. Es ist mein Job, solche Dinge zu erfahren. Wüsste ich es nicht, wäre ich nicht gut darin.« Er massierte mit einer Hand seine Schläfe.
Sabine dachte an ihren Freund. Sie musste diese Sache glattbügeln. »Erik Dorfer studiert seit zwei Jahren an der Fachhochschule des BKA. Ich habe ihn zu dieser Abfrage gedrängt. Es war meine Schuld.«
Sneijder ließ von der Massage ab und hob eine Augenbraue.
»Ein Kriminalkommissaranwärter sollte sich von niemandem zu etwas drängen lassen.«
»Falls Sie ein Disziplinarverfahren anstreben, dann hängen Sie es mir an.«
Er legte das Buch beiseite. »Sie sind ein kleines, toughes Fräulein. Wie würde Ihr Vorgesetzter reagieren, dieser Klowitz …«
»Kolonowicz«, korrigierte sie ihn.
»… wenn er erfährt, dass Sie hinter seinem Rücken Abfragen starten?«
»Wie wohl? Er hat mich nie mit dem Fall betraut und mich davor gewarnt, mich in eine laufende Ermittlung des LKA zu mischen.«
»Mhm!« Sneijder kniff das Gesicht zusammen. »Und deshalb schleichen Sie sich in die Gerichtsmedizin und drucken heimlich den Autopsiebericht Ihrer Mutter aus?«
Sabine schoss die Röte ins Gesicht. Ihre Kopfhaut kribbelte.
Sneijder massierte sich wieder die Schläfe. »Ich sah Sie, als Sie durch die Brandschutztür schlüpften. Trotz Ihrer einen Meter sechzig sind Sie mit der silbergrauen Haarsträhne nicht zu übersehen.«
»Einen Meter dreiundsechzig!«
»Mit hohen Absätzen.«
»Sie haben wohl auf alles eine Antwort.«
»Nein, aber ich kann exakt schätzen.« Sneijder griff in die Sakkotasche und reichte ihr ein Blatt Papier. »Das haben Sie vergessen.« Er fühlte sich gewiss großartig in seiner Rolle. Doch er ritt nicht länger auf diesem Thema herum. »Wieso haben Sie eigentlich Kontakt zu einem Kriminalkommissaranwärter in Wiesbaden?«
Sabine steckte das Blatt ungelesen ein. »Wir kennen uns vom Kölner Sportgymnasium.«
Sneijder lächelte. »Eine alte Liebe?«
»Wir wollten beide zum BKA. Bei ihm hat es geklappt, ich wurde dreimal abgelehnt.«
Sneijder nickte. »Ich nehme an, Ihr Freund hat Schuldgefühle und glaubt, Ihnen verpflichtet zu sein.«
Möglich. So hatte sie es noch nie betrachtet.
»Was fasziniert Sie am BKA?« Er zuckte mit den Achseln. »Das ist ein Verein wie jeder andere auch – nur langweiliger.«
Vielleicht war es ein Fehler, gerade einem sarkastischen Kerl wie ihm den Grund auf die Nase zu binden. Schließlich tat sie es doch. »Ich bin einen Meter sechzig groß. Einige
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