Todesfrist
ein schlechtes Gewissen, als sie die Aufstellung der Weihnachtsgeschenke sah, die Frank für sie gekauft hatte. Ein gutes Dutzend Romane sowie Fachzeitschriften aus ihrer Lieblingsbuchhandlung, CDs von Mahler und Schönberg, zwei Parfümphiolen, Gutscheine von ihrer Lieblingsboutique, Eintrittskarten für die Sophiensäle und ein Boulevardtheater.
Dusty stupste sie erneut an und leckte ihr wie zum Trost über den Unterarm. Bestimmt spürte der Hund ihre Zweifel. Es ist auch Wahnsinn, was du da machst, sagte sie sich. Frank hat dich weder betrogen, noch weiß er etwas über Anne Lehner.
Als sie die Blätter herunternahm, sah sie, wie er auf das Wohnzimmer zusteuerte. Rasch faltete sie die Papiere zusammen und schob sie unter das Kopfkissen.
Dusty versuchte, die Abrechnungen hervorzuzerren. Offensichtlich dachte er, sie wollte mit ihm spielen.
»Aus!«, zischte sie.
Er ließ nicht locker und fuhr mit der Pfote unter das Kissen.
»Schau mal, Herrchen ist da!«, lenkte sie ihn ab.
Dusty blickte auf, aber im nächsten Moment kratzte er schon wieder am Stoffbezug der Couch.
Frank kam zu ihr und setzte sich auf die Bank. Gedankenverloren streichelte er Dusty. »Warum war das Haus abgesperrt? Ist doch sonst nicht deine Art.«
»Am Nachmittag kam ein schwieriger Klient in die Praxis. Vorbestraft«, log sie. »Ich wollte ihm keine Möglichkeit bieten, das Haus zu betreten.«
»Aha.« Frank betrachtete Dusty. »Was ist mit dem Hund los?«
Dusty schob knurrend die Schnauze unter das Kissen.
»Die Katze der Nachbarin war im Haus und hat einige Stunden hier gelegen.« Schon wieder eine Lüge. Sie dachte an den Finger im Gefrierfach, Franks entwendete Kreditkartenabrechnung und die hinter den Büchern versteckte Schachtel mit dem Ring. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie mehrere Geheimnisse vor ihrem Mann. Hoffentlich ging dieser Albtraum bald zu Ende.
Frank fuhr sich durch das grau melierte Haar. »Wie weit bist du mit den Vorbereitungen für die Feier?«
»Ich habe die Unschlüssigen auf der Gästeliste angerufen.« Diesmal war es keine Lüge. In den Pausen zwischen ihren Terminen hatte sie die Namen auf der Liste durchtelefoniert. »Insgesamt kommen am Mittwoch vierundfünfzig Personen.«
»Auch Kinder?«, fragte er.
Sie schüttelte den Kopf.
»Gott sei Dank.« Er wollte sich bereits erheben, als sie ihn am Arm berührte.
»Warum hast du Ben Kohler eingeladen?«
Er zuckte mit den Achseln. »In letzter Zeit arbeite ich mit seiner Mordgruppe zusammen. Er ist nett. Er fragt öfter nach dir.«
Sie setzte sich auf. »Tatsächlich?«
»Was ist dabei?« Er strich ihr über die Wange. »Ich weiß, dass ihr früher ein Paar wart. Das stört mich nicht … was hat denn bloß dieser Hund?«
»Dusty! Aus!« Sie packte ihn am Halsband und zerrte ihn vom Kissen weg. Ein Papierfetzen hing an seiner Schnauze, den sie wegwischte.
»Stört es dich, wenn er kommt?«
»Nein, aber … Ben hatte einen Sohn aus erster Ehe. Als er starb, trennten wir uns.«
»Ich weiß, tragische Sache. Aber was hat das mit uns oder der Feier zu tun? Soll ich ihn wieder ausladen?«
»Nein.« Helen schluckte. »Es ist bloß so … Bens Sohn war eines von Christoph Winklers Opfern.«
Frank starrte sie entgeistert an. Er wusste, wie sensibel sie auf
dieses Thema reagierte, und dass sie sämtliche Interviews und Pressetermine dazu ablehnte.
»Das wusste ich nicht.« Er schien wie vor den Kopf gestoßen.
»Du warst nur am Rande in diese Sache involviert, darum habe ich dir nie davon erzählt.«
Endlich ließ Dusty von dem Kissen ab, legte sich auf Helens Bauch und leckte ihr über die Wange.
»Oh, Mann.« Frank schien erst jetzt die Zusammenhänge zu begreifen. »Als der Fall vor Jahren aufgerollt wurde, gerieten einige Kollegen von der Staatsanwaltschaft unter Beschuss und mussten erklären, warum ein Kindesmörder durch die damaligen Ermittlungen nicht gefasst worden war. Die Staatsanwaltschaft wälzte die Schuld auf den Polizeipräsidenten ab, der auf die Beamten des Bundeskriminalamts, die auf die Kripo und die Kripo auf dich. Es war eine Schweinerei!« Frank strich ihr wieder zärtlich über die Wange. »Es tut mir leid, dass ich dich an all das erinnere. Ich hätte dich fragen sollen, ob du Ben Kohler überhaupt sehen willst.«
»Schon gut.« Sie hob die Schultern. »Als die Schlammschlacht losging und die Presse einen Sündenbock suchte, waren wir schon getrennt.«
»Aber er hätte dich entlasten können. Bestimmt wusste er
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