Todesfrist
präzisen Antworten gedrängt. Dann war er wieder gegangen. Sabine fragte sich, ob Sneijder einfach nur verrückt oder brillant war.
Kaum hatte sie das Gespräch beendet, läutete ihr Telefon erneut. Eriks Handynummer erschien auf dem Display. Endlich! Sie lief in die Küche und schloss die Tür.
»Hallo, Bine, du hast mehrmals angerufen«, sagte er mit seiner typisch rauen Stimme, die er schon als Jugendlicher gehabt hatte. Immer noch bekam sie eine Gänsehaut, sobald sie dieses Reibeisen hörte.
Sie erzählte vom Tod ihrer Mutter, und dass ihr Vater verhört wurde. Erik war geschockt und drückte ihr sein Beileid aus. Er kannte ihre Eltern noch aus jener Zeit, als sie in Köln gelebt hatten. Erik war als Erstem aufgefallen, dass sie ein sehr ungleiches Paar waren – Mutter war dynamisch und stets flott gekleidet, Vater dagegen introvertiert und in seine Nostalgiezüge vernarrt. Dann berichtete Sabine von einem Kollegen vom BKA, der sich in München wichtigmachte. »Der Typ heißt Maarten Sneijder.«
»Maarten S. Sneijder«, korrigierte Erik sie in einem gespielt hochnäsigen Ton. »Den kennt jeder hier. Kommt aus Rotterdam und raucht Marihuana.«
»Im Moment vernebelt er unsere Dienststelle. Kann mir nicht vorstellen, dass das keine Konsequenzen hat.«
»Sneijder ist ein Sonderfall«, sagte Erik. »Er hat mit dreiundzwanzig Jahren das Hochschulstudium mit ausgezeichnetem Erfolg abgeschlossen, fünfzehn Jahre Praxis in fallanalytischen Delikten, danach das Auswahlverfahren für die OFA durchlaufen und eine fünfjährige Ausbildung zum polizeilichen Fallanalytiker.«
Das OFA war die Operative Fallanalyse. »Deswegen darf er Gras rauchen?«
»Vielleicht erstellt er gerade deswegen die besten Täterprofile.
Angeblich baut er das Zeug in seiner Wohnung an. Er behauptet, es wirkt geistesanregend und bewusstseinserweiternd.«
»Oh, wie großartig! Und seine Vorgesetzten lassen ihm das durchgehen?«
»Keine Sorge, der BKA-Präsident hasst ihn deswegen. Aber er kann es sich nicht leisten, seinen einzigen Spezialisten für Erpressung und Menschenraub zu verlieren, der noch dazu in Rechtsmedizin und forensischer Psychologie ausgebildet ist. Außerdem hat Sneijder beste Kontakte zur EUROPOL in Den Haag …«
»… und er ist ein arrogantes Arschloch!«, kommentierte Sabine.
»Ich weiß. Aber er ist gut. Nimm dich vor ihm in Acht.«
»Ja mei«, sagte sie wenig beeindruckt.
Erik lachte. »Ich liebe es, wenn du das sagst.«
»Ich weiß.« Damit hatte sie Erik während ihrer Schulzeit in Köln immer zum Schmunzeln bringen können. Aber es wurde Zeit, mit ihm über etwas anderes zu reden. »Sneijder weiß von meiner Anfrage an Daedalos. Er hat meine IP-Adresse und deinen Zugangscode sperren lassen.«
Erik schwieg.
»Aber ich glaube nicht, dass er dir deswegen die Hölle heißmachen wird.«
»Deswegen habe ich zurückgerufen«, sagte Erik. »Eigentlich dürfte ich nicht mit dir über deine Anfrage zu den Fällen reden, weil sie der Geheimhaltung unterliegen.«
»Den Fällen? Was hast du erfahren?«, drängte sie.
»Bevor mein Passwort ungültig wurde, habe ich deine Auswertung erhalten. In den letzten eineinhalb Monaten gab es zwei ähnliche Morde. Achtundvierzig Stunden nach der Entführung wurde eine Frau im Glockenstuhl des Leipziger Doms in einer Blechwanne verbrannt und eine zweite im Kellergewölbe des Kölner Doms angekettet und von zwei Pitbull-Terriern zu Tode gebissen.«
Ein schreckliches Bild entstand in Sabines Kopf. Noch dazu kannte sie den Kölner Dom. Eine düstere schwarze Kirche, deren
Türme wie zwei Knochengerippe wirkten. »In Leipzig und Köln? Wer waren die Frauen?«
»Die ältere Dame aus Leipzig war eine ehemalige Lehrerin im Ruhestand. Die Frau in Köln war mittleren Alters, weitere Details habe ich nicht. Bine … was ist?«
»Nichts. Danke.« Sie beendete das Telefonat. Ihre Mutter hatte früher in Köln unterrichtet – wie die Frau in Leipzig. Aber wo bestand der Zusammenhang? Woher willst du wissen, dass Vater es nicht gewesen ist?, hallte Monikas Stimme in ihrem Kopf nach.
Sie musste noch einmal mit Sneijder sprechen.
Am späten Nachmittag betrat Sabine ihre Dienststelle. Sie ging in die dritte Etage und klopfte an die Tür des Besprechungszimmers.
»Was denn?« Sneijders Stimme klang erschöpft.
Sie trat ein. Die Rollos waren zu zwei Dritteln unten. Es roch nach Vanilletee und Gras. Nur eine schwache Schreibtischlampe brannte, und das Licht zweier Laptops spiegelte
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