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Todesfrist

Todesfrist

Titel: Todesfrist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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besonderen Fällen, aber dies ist kein besonderer Fall, Fräulein Nemez!« Er pochte mit dem Finger auf den Tisch. »Das BKA hat sich in diesen Fall nicht eingeschaltet! Das BKA wurde auch nicht mit den Ermittlungen beauftragt!«
    »Warum sind Sie dann hier?«
    »Falsch. Die Frage lautet doch: Warum wollen Sie mir helfen?
Meine Zeit ist knapp, darum werde ich die Frage selbst beantworten.« Er hielt drei Finger hoch. »Erstens – Sie dürsten nach Rache und wollen den Mörder Ihrer Mutter finden. Ich schätze, dafür kommen zehn Prozent in Frage. Zweitens – Sie wollen die Unschuld Ihres Vaters beweisen. Das schätze ich auf zwanzig Prozent. Drittens, und das ist Ihre größte Motivation …« Er beugte sich vor. »Sie werden von Schuldgefühlen zerfressen. Eigentlich sollten Sie an jenem Abend, an dem Ihre Mutter entführt wurde, mit ihr zu einem Pilateskurs gehen. Aber Sie sagten ab, weil Sie sich nicht wohlfühlten und sich lieber mit einer Tablette Parkemed im Bett verkriechen wollten.«
    »Ich …«
    »Ja, ich weiß«, unterbrach er sie. »Ich habe Ihre Nachricht auf dem Anrufbeantworter Ihrer Mutter gehört. Ach Gott, könnte ich doch bloß Ihre Kopfschmerzen haben.« Er schob die Nadeln ins Lederetui und schloss es. Ein neuerlicher Schweißausbruch schien ihn zu überkommen. Er kniff die Augen zusammen und wischte sich über die Stirn.
    »Ich weiß Ihre Beweggründe zu schätzen«, murmelte er. »An Ihrer Stelle würde ich vermutlich ähnlich handeln. Aber selbst wenn ich wollte: Ich kann Sie nicht einbeziehen.«
    »Warum?«, krächzte sie.
    Er ging mit einem Glas zum Handwaschbecken und drehte den Wasserhahn auf. »Sie mischen sich ohne Befugnis in eine laufende Ermittlung ein, stellen heimlich Anfragen an das BKA, brechen in die Gerichtsmedizin ein und klauen den halb fertigen Autopsiebericht. Würden Sie sich selbst als vertrauenswürdig und verlässlich bezeichnen?«
    Während der Wasserhahn lief und Sneijder das Glas füllte, schob sie sich zwischen ihn und dem Schreibtisch. Hinter ihrem Rücken tastete sie nach seinem Diktafon. Während sie hustete, fingerte sie das Mini-Tonband aus dem Kassettendeck und ließ es in der Westentasche verschwinden. »Nein«, antwortete sie. »Ich würde mich nicht als vertrauenswürdig bezeichnen.«

    »Eben.« Er stürzte das Wasser in einem Zug runter. »Sonst noch was?«
    Sie ging zur Tür. »Eine Frage noch. Ist die ermordete Frau in Köln auch Lehrerin oder Direktorin gewesen wie meine Mutter und die Tote in Leipzig?«
    Sneijder stellte das Wasserglas ab. Für einen Moment war er tatsächlich perplex. »Nicht schlecht, Eichkätzchen«, sagte er. »Aber ich werde mit Ihnen nicht über diese Fälle reden. Und jetzt raus!«
     
    Von einem Mitarbeiter aus der Abteilung für Ballistik und Waffentechnik borgte sich Sabine ein Diktiergerät aus, in das Sneijders Mini-Kassette passte. Ihre Kollegen vom KDD waren bei einem Einsatz. Sie stand allein in der Kantine, an die Fensterbank gelehnt, und hielt sich das Gerät ans Ohr.
    Zum Glück sprach Sneijder nicht Niederländisch. Er redete langsam, betont und ruhig. Eigentlich hatte sie gehofft, etwas über seinen Verdacht bezüglich ihres Vaters zu erfahren. Doch in Sneijders Aufzeichnung ging es nicht um ihren Vater. Er vertiefte sein Profil des Mörders. Dabei klang es nicht so, als würde er an ihren Vater denken.
    »… noch nicht bestätigt, aber ich nehme an, er hat wieder dasselbe Nervengift verwendet. Wie hat er die Frau in die Kirche gebracht? Um 19.00 Uhr das Hauptportal mit einem Stemmeisen aufgebrochen? Vor den Augen der Straßenmusikanten? Unwahrscheinlich! Vermutlich in der Nacht zuvor. Wieder hielt er sich einen Tag lang in der Gruft versteckt. Als die Luft rein war, hat er sie hochgeschleppt. Diesmal zur Kirchenorgel. Nach dem mittelalterlichen Sakristeikeller in Köln und dem Glockenstuhl in Leipzig fokussiert sich sein Zorn nun auf Kirchenmusik. Sakristei, Glocken, Orgel …«
    Es folgte eine Pause.
    »Der Küster sagt, er habe ein Stück von Bach gehört. Der Leipziger Dom ist eine evangelische Kirche – Bach hat dort gewirkt. Scheint sich um keine bestimmte Konfession zu handeln, aber
Johann Sebastian Bach dürfte wichtig sein. Vielleicht sogar ein bestimmtes Stück.«
    Sneijders Stimme verstummte. Nach einer Minute sprach er weiter, wechselte jedoch das Thema. Seiner Meinung nach handelte es sich bei dem Täter um einen etwa dreißigjährigen, alleinstehenden, introvertierten Mann, der eine

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