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Todesfrist

Todesfrist

Titel: Todesfrist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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Mappe. »Falls Sie damit einverstanden sind, möchte ich eine emotionale Störung mit Beginn in der Kindheit und Jugend vorschlagen. Ich denke, das trifft auf Sie zu.«
    Carls Nackenmuskeln spannten sich. »Wozu soll das gut sein?«
    Rose bemühte sich um eine ruhige Stimme. »Niemand lässt sich gern analysieren oder sein Verhalten in Kategorien einordnen, aber anhand der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen wird eine Erstdiagnose vorgenommen.«
    »Wozu? Ich bin doch kein Kassenpatient.«
    »Richtig, bei einer Auflage durch das Gericht fällt dieser Schritt häufig weg. Aber das ist nicht Ihre erste Therapie. Mir liegt eine alte Stellungnahme vom Gericht vor.« Eigentlich drei … Von Kollegen, die die Therapien mit ihm abgebrochen hatten.
    »Mit dieser Diagnose möchte ich die Stellungnahme meines Vorgängers bestätigen und lediglich um einen Punkt erweitern: dass es sich in Ihrem Fall um ein Entwicklungstrauma handelt. Mehr erfährt das Gericht nicht.« Sie machte eine Pause. »Außerdem lege ich einen vorläufigen Situationsbericht vor, in dem ich festhalte, dass Sie clean sind, regelmäßig erscheinen und kooperativ sind. Diese Meldung geht gemeinsam mit der Bestätigung Ihres Hausarztes ans Gericht.«
    Carls Gesichtszüge entspannten sich ein wenig. Das war ihre Chance, ihn wieder auf ihre Seite zu holen. »Einverstanden?«
    Er blickte auf die Anzeige des Radioweckers. Fünfzehn Minuten waren vergangen. »Okay.« Er lehnte sich zurück.
    Rose wusste, dass er keine andere Wahl hatte, als die Therapie mit ihr durchzuziehen. Andernfalls warteten drei Jahre Gefängnisstrafe wegen Kokainbesitzes, Stalkings und Körperverletzung auf ihn. Trotzdem sollte er nicht das Gefühl bekommen, wichtige
Entscheidungen würden über seinen Kopf hinweg getroffen werden. Daher fragte sie ihn: »Wollen Sie die Therapie bei mir weitermachen?«
    Seine Augenbrauen zogen sich zusammen. »Habe ich eine andere Wahl?«
    »Sie können die Therapie mit einer guten Begründung jederzeit abbrechen und eine andere Therapeutin wählen.«
    »Nein, ist okay.«
    »Das freut mich.«
    »Wollen Sie gar nicht wissen, warum ich mit Ihnen weitermachen will?«
    Die Frage erstaunte sie. »Natürlich interessiert es mich.«
    Carl schluckte. Er ballte die Hand mehrmals zur Faust. »Ich finde Sie attraktiv.«
    Rose blieb ernst. »Tatsächlich?«
    »Ich mag die Lücke zwischen Ihren Schneidezähnen, wenn Sie lächeln … sieht irgendwie süß aus. Die kastanienroten Haare, die Ihnen ständig auf einer Seite ins Gesicht fallen. Dann ist immer nur ein Auge zu sehen. Dadurch wirken Sie sexy …« Er lächelte unbeholfen.
    Oh Mann, sie hatte einen Verehrer. Und was für einen! Mit diesen unglaublich langen Wimpern und den intensiven blauen Augen hätte er garantiert viele Frauen rumgekriegt. Trotzdem musste es ihn einige Überwindung kosten, das zu sagen. Erneut starrte er auf ihre dünnen Fesseln und die Oberschenkel, die sich unter dem Stoff des Rocks abzeichneten. Sie war mit einem schlanken Körper gesegnet, für dessen Erhaltung sie sich zum Glück durch kein Aerobic oder Bauch-Beine-Po-Programm quälen musste. In ein paar Monaten würde sich das aufgrund ihrer Schwangerschaft sicher ändern, doch bisher war nichts davon zu sehen. Sie dachte an den Vater des Kindes, der sich schon auf das Baby freute – zumindest hatte er das behauptet, und sie wollte ihm glauben.
    Seit sie ihren Exmann vor drei Jahren mit einer anderen im Bett
erwischt hatte und er daraufhin ausgezogen war, hatte sie schon öfter gehört, dass sie für ihr Alter – mittlerweile vierzig – gut aussah. Vielleicht lag es an ihren strahlend grünen Augen, dem Gefühl, endlich ihr eigenes Leben zu leben, oder auch nur an ihrer zweitausend Euro teuren Bräunungskabine. Durch die zahlreichen Stunden auf der Sonnenbank, in denen sie Miles Davis, Duke Ellington und langsamen, besinnlichen Bar Jazz hörte, sah man zwar immer häufiger ihre Lachfalten, aber das war ihr gleichgültig. Es klang oberflächlich, doch sie brauchte Sonne, Wärme und den Geruch gebräunter Haut, damit sie sich wohlfühlte. Nun fand sie ein Knabe, der siebzehn Jahre jünger war als sie, sexy. Irgendwie reizvoll – aber völlig unbrauchbar.
    »Ist das hilfreich für Sie?«, fragte sie.
    »Wie bitte?«
    »Ist das hilfreich für Sie, wenn Sie mich attraktiv finden?«, wiederholte Rose. Offensichtlich nahm sie ihm mit der Frage den Wind aus den Segeln.
    »Äh … nein, aber …« Er dachte nach.

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