Todesfrist
Champagner und edle Weine servieren, und der Show-Koch würde Garnelenspießchen und Paella in einer Riesenpfanne über einem offenen Feuer zubereiten. Zum Abschluss würden sich die Gäste in der Cocktailbar einfinden.
Die Band sollte bereits gegen 16.00 Uhr eintreffen und ihr Equipment aufbauen, ebenso der Fotograf mit seiner Assistentin, um die Location zu begutachten. Obwohl es angeblich nicht regnen sollte, hatte Helen bereits vor einer Woche für Band und etwa vierzig Gäste ein Zelt bestellt, das im Garten aufgestellt werden sollte. Eine kluge Frau war für alle Eventualitäten gerüstet. Von ihr aus konnte es wie aus Eimern schütten. Das wäre das passende Wetter für den Geburtstag ihres Mannes.
Sie kam nach Siebenhirten, dem südlichen Stadtteil Wiens, einer grünen Gegend, in der sich ein gepflegter Vorgarten an den nächsten reihte. Als sie in die Bachallee einbog, schaltete sie das Handy aus. Hier gab es freie Parkplätze ohne Ende. Neben einem Abstellplatz stand ein Schild, das auf eine Psychotherapie-Praxis hinwies. Helen fuhr langsamer, ließ das Fenster herunter und
kniff die Augen zusammen. Dr. med. Rose Harmann, stand auf der Tafel. Logotherapie und Existenzanalyse nach Viktor E. Frankl. Das musste die Kollegin sein, bei der Anne Lehner zuvor gewesen, mit der sie aber nicht klargekommen war. Helen hatte schon mal von Harmann gehört. Angeblich war sie eine Koryphäe bei Tagungen, allerdings kannte sie die Frau nicht persönlich.
Langsam rollte Helen an einem Park und einer Bushaltestelle vorbei, bis sie das richtige Gebäude erreichte, Hausnummer 33. Ein moderner, sechsstöckiger Wohnblock mit Balkonen und einer Tiefgarage. Die kleinen Buchsbäume in den Marmortöpfen und die breite Glasfassade mit dem Springbrunnen wirkten wie der Eingangsbereich eines Kongresszentrums. Anne hatte ein Leben lang gearbeitet, war alleinstehend, hatte keine Kinder und verbrachte ihre Urlaube zu Hause. Trotzdem fragte sich Helen, wie sich eine gewöhnliche Apothekengehilfin eine Wohnung in dieser Gegend leisten konnte.
Sie parkte vor dem Haus. Eine moderne Gegensprechanlage mit Display ragte aus der Wand. Helen wählte sich durch das Menü. Insgesamt gab es fünfzig Wohnungen in diesem Block. Anne Lehner hatte Türnummer 48 im letzten Stock. Helen beendete die Menüabfrage und holte den Schlüsselbund von Franks Schreibtischlade aus der Handtasche.
Nun kam der Moment der Wahrheit. Sie wünschte sich, dass sie sich geirrt hatte und Franks Schlüssel bloß zu seinem Spind im Golfklub gehörte. Mit zitternden Fingern führte sie den größeren Schlüssel ins Schloss. Widerstandslos glitt er in die Öffnung. Die Tür sprang mit einem leisen Klicken auf. Ungläubig starrte Helen auf den Spalt.
Was hast du erwartet, Dummchen? Sei still! Sie trat ein. Der gewaltige Vorraum war cremefarben gefliest. Eine Treppe aus Chrom führte in die oberen Stockwerke. Daneben ragte ein Aufzug mit ovaler Glaskabine empor. Durch das Glasdach strahlte die Sonne in den sechsstöckigen Luftraum. Der Geruch nasser Erde lag in der Aula. Offensichtlich hatte der Hausmeister soeben die zahlreichen
Buchsbäume vor den Korridorabzweigungen gegossen. Helen ging zum Lift. Ihre Stöckelschuhe klapperten über die Bodenfliesen. Vereinzelt hallte das Klicken von Türen durch das Gebäude.
Helen betätigte den Sensor für den Aufzug. Die Kabine brachte sie mit einem geschmeidigen Surren nach oben. Sie fühlte sich wie ein Ausstellungsstück in einer Vitrine. Das Panel zeigte, dass es noch drei Stockwerke hinunter ging. Dort gab es Boutiquen sowie einen Maniküre- und Friseursalon, eine Wellness-, Solarium- und Saunalandschaft und die Tiefgarage. Dieser Wohnblock war eine Oase der Reichen am Rande der Großstadt.
Helen stieg direkt unter dem Flachdach aus. Aus der Vogelperspektive sah der Eingangsbereich überwältigend aus. Auch hier hatte sich der Architekt mit Glaselementen verwirklicht, sodass mehr Sonnenlicht als nötig ins Gebäude fiel.
Der orangefarbene Teppich schluckte jedes Geräusch. Vor der Türnummer 48 blieb sie stehen. Natürlich! Das Schloss war aufgebrochen worden. Ben Kohler hatte ihr erzählt, dass jemand gewaltsam in die Wohnung eingedrungen war und Anne vermutlich daraus entführt hatte. Ein breites Stemmeisen hatte den Türstock an mehreren Stellen eingedrückt. Dennoch schloss die Tür bis auf einen Spalt, an dem das verzogene Holz aufklaffte. Der Hausmeister musste die Tür behelfsmäßig repariert haben.
Über dem
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