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Todesfrist

Todesfrist

Titel: Todesfrist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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Sabine kannte keine einzige Person auf der Liste.
    Mama, was hattest du mit dieser Frau gemeinsam?
    Sneijder hatte ihr erzählt, dass er die Namensliste der Kollegen und Schüler erfolglos mit jener ihrer Mutter verglichen habe. Doch die Unterlagen aus der Zeit vor dem Brand an der Kölner Grundschule waren in den Flammen vernichtet worden. Bis heute wusste niemand, warum ein Feuer im Direktorenzimmer ausgebrochen war und das Gebäude in Schutt und Asche gelegt hatte. Sabine allerdings hatte schon immer einen Verdacht gehabt. Sie erinnerte sich an jene Nacht vor zehn Jahren, als ihre Eltern mit Rußspuren im Gesicht, versengten Kleidern und nach Rauch riechenden Haaren aufgebracht nach Hause gekommen waren. Sie hatten gleich geduscht und ihre Kleider anschließend in einem Müllsack verschwinden lassen. In derselben Nacht hörte Sabine sie streiten und einander schließlich schwören, nie ein Wort über das zu verlieren, was in jener Nacht geschehen war. Unmittelbar danach folgten der Umzug nach München und die Trennung.
    Allerdings gab es eine Möglichkeit, an die Unterlagen aus der Zeit vor dem Brand zu gelangen. Sabine wusste, dass ihre Mutter alle Klassenbücher ihrer Jahrgänge aufgehoben hatte.
     
    Nachdem sie die Zimmer nach Schulheften und Klassenbüchern durchsucht hatte, kam Sabine der entsetzliche Gedanke, dass die Unterlagen vielleicht im Kellerabteil von Vaters Wohnung in Köln vor sich hinmoderten.
    Sie stand vor der Wohnungstür im Gang und starrte zur Auszugstreppe
an der Decke. Darüber lag der Dachboden. Ein letzter Funke Hoffnung keimte in ihr auf. Als ihre Mutter mit ihr und Monika von Köln nach München gezogen war, hatten sie Dutzende Schachteln in den Stauraum geschleppt. Mutters Wohnung besaß als einzige kein Kellerabteil, und der Vermieter hatte ihr gestattet, die persönlichen Dinge auf dem allgemeinen Dachboden zu lagern. Zu diesem Zeitpunkt lebte ihre Großmutter nicht mehr. Der verschuldete Bauernhof war verkauft worden, der Erlös hatte gerade für Omas Begräbniskosten gereicht.
    Sabine kletterte nach oben und kniete neben der Luke nieder. Der knapp eineinhalb Meter hohe Dachboden roch nach Holz und Glaswolle. Tote Fliegen und Hornissen lagen auf den Brettern. Spinnweben hingen vom Dachbalken. Hier oben herrschten bestimmt zehn Grad mehr als im Haus.
    Sabine stand der Schweiß auf der Stirn. Staub und Sägespäne blieben an ihren Händen kleben, als sie auf allen vieren über den Boden kroch. Vor dem Kaminschacht stapelten sich die Schachteln mit den Schulbüchern. Auf der Lasche des ersten Faltkartons stand in der Handschrift ihrer Mutter mit Filzstift Bine geschrieben. In der Pappkiste lagen die Biologie-, Chemie- und Lateinbücher aus ihrer Schulzeit im Sportgymnasium. Hätte sie sich damals für einen anderen Beruf entschieden, würde sie jetzt vermutlich nicht hier hocken, sondern sich tatsächlich um Mutters Nachlass kümmern, wie sie Kolonowicz gegenüber behauptet hatte. Aber schon als Jugendliche hatte sie gewusst, dass sie zur Kripo gehen und später die Ausbildung beim BKA machen wollte. Ihr Vater hatte verstanden, dass sie ein Gerechtigkeitsfaible besaß und anderen Menschen helfen wollte. Ihre Mutter hingegen hatte Sabines Entscheidung stets für eine Trotzreaktion gehalten. Wäre es nach ihr gegangen, dann wäre Sabine ebenfalls Lehrerin geworden. Würde die Kleine doch zumindest wie Monika Audioguide-Kopfhörer in Museen verteilen! Aber Täterprofile erstellen? Das ist doch Psychoquatsch!
    Sabine wischte sich den Schweiß von der Stirn und blickte auf
die Uhr. Noch eine Stunde, dann würde jemand von der Dienststelle Sneijder zum Flughafen bringen. Sie riss alle Schachteln auf. In einer lagen Monikas Schulbücher, in einer anderen Fotoalben aus ihrer Kindheit und ihre gemeinsamen Stofftiere. Eine Giraffe, Roger Rabbit, Daffy Duck, Tweety und Sylvester – verstaubt und ausgeblichen. Keine Klassenbücher! Der letzte Karton enthielt nur altes Porzellangeschirr, Monikas Poesiealbum, eine Blechdose mit alten Mark- und Pfennigmünzen und ein vergilbtes Fotoalbum, aus dem eine DIN-A4-große Papiertüte rutschte. Kölner GS 1989–2001 stand auf dem Papier. Mutters Handschrift mit Kugelschreiber. Die Tüte enthielt einen Stapel Fotografien. Klassenfotos! Sabines Herzschlag beschleunigte sich. Da hörte sie durch die offene Dachluke, wie unten die Eingangstür ins Schloss fiel. Stimmen drangen im Treppenhaus nach oben. Sie hielt den Atem an und lauschte. Zwei Männer kamen

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