Todesfrist
wieder im Gang. Sneijder hatte nur einen Laptop ausgepackt und ans Netz angeschlossen. In dem Raum roch es nach Teeblättern – und nach Gras. Im Aschenbecher lag ein zerdrückter Joint.
»Was haben Sie erreicht?«, fragte Sabine.
Er lehnte sich im Stuhl zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf, als hätte er soeben das Arbeitspensum des gesamten Tages erledigt. »Nach den fünf Personen wird gefahndet.«
Er drehte sich mit dem Stuhl herum, legte die Füße auf die
Fensterbank und blickte aus dem Fenster. »Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht.«
»Die schlechte zuerst.«
»Überlassen Sie die Reihenfolge mir«, sagte er. »Ich möchte Sie bei den Ermittlungen gegen Struwwelpeter in meinem Team haben.«
Sabine verschlug es den Atem. »Ist das die gute oder die schlechte Nachricht?«
Er nahm die Beine herunter, wandte sich ihr zu und musterte sie fassungslos. »Die gute natürlich!«
»Aus wem besteht Ihr Team?«
»Aus mir«, antwortete er, als wäre dies die selbstverständlichste Sache der Welt. »Es gibt Qualitätsstandards, nach denen ein Team vorgeht – ich arbeite anders.«
Das überraschte Sabine kein bisschen. Sneijder schien alles andere als ein konventioneller Ermittler zu sein. »Und die schlechte Nachricht?«
»Das LKA will Sie vernehmen.«
»Weiß ich bereits.«
»Sie wissen noch nicht alles«, korrigierte er sie. Er beugte sich vor. »Die Kollegen sind doch nicht so lasch, wie ich dachte. Irgendwie sind sie dahintergekommen, dass Sie gestern bezüglich des Mordes an Ihrer Mutter eine Anfrage an Daedalos gestellt haben. Insgesamt haben Sie sich in den letzten fünf Wochen dreimal über die IP-Adresse Ihres PCs in Daedalos eingeloggt. Zwar wurde der Inhalt dieser Abfragen nicht mitprotokolliert, aber der Staatsanwalt vermutet, dass Sie sich schon damals Zugang zum Modus Operandi der Struwwelpeter-Morde verschafft haben.«
»Das stimmt nicht, es ging um …«
Er hob die Hände. »Völlig unerheblich! Es geht nur darum: Ihr Vater hat möglicherweise in der Zeitung von den Morden an der Leipziger Lehrerin und der Kölner Rechtsanwaltsgehilfin gelesen. Wann haben Sie das letzte Mal mit ihm telefoniert?«
Sabine wusste, worauf die Sache hinauslief. »Vater ist doch nicht Struwwelpeter!«
»Das wissen wir beide«, unterbrach er sie. »Aber das LKA vermutet, dass er den Modus Operandi kannte und den Mord an seiner Exfrau dem Killer in die Schuhe schieben wollte.«
»So ein Quatsch!«
»Das mag sein, aber Kirche, Staatsanwalt und Landeskriminalamt verlangen eine rasche Lösung. Nächste Woche besucht der katholische Oberpfaffe München, um eine Messe im Dom zu zelebrieren. Bis dahin muss der Mord aufgeklärt sein.« Sneijder wedelte mit der Hand. »Wenn die Kollegen Sie erst einmal stundenlang in der Mangel haben, sind Sie für mich und meine Ermittlungen nutzlos. Es gibt nur eine Möglichkeit, wie Sie dem Verhör entkommen können. Damit sind wir wieder bei der guten Nachricht.« Er schenkte ihr sein typisches Leichenhallenlächeln. »Sie begleiten mich nach Dresden. Ihr Dienstreiseantrag über das BKA Wiesbaden ist mit einem Anruf erledigt.« Er schnippte mit den Fingern.
»Jetzt?«
»Wenn nicht jetzt, wann dann?«
Das war klar. Sabine blickte auf die Uhr. »Nach Dresden sind es fünfhundert Kilometer.«
»Vierhundertsechzig, um genau zu sein, wenn wir über Nürnberg und Chemnitz fahren. Der Dienstwagen von der Münchner Kripo steht bereits vollgetankt unten. Wenn Sie ordentlich aufs Gas treten, sind wir in viereinhalb Stunden dort.«
»Ich fahre?«, fragte sie.
»Ich sicher nicht«, antwortete er prompt.
Klar, schließlich besaß er keinen Führerschein. »Was machen wir in Dresden?«
Er klappte den Laptop zu und zog das Kabel aus der Steckdose. »Vergessen Sie Ausweis, Dienstwaffe und das Struwwelpeter-Buch nicht. Den Rest erkläre ich Ihnen während der Fahrt.«
18
Bevor Helen zu Hause aufgebrochen war, hatte sie sich mit Bluse, Blazer und dunkelblauem Rock in Schale geworfen. Von Grießkirchen bis zum südlichen Stadtrand Wiens hatte sie nur fünfzehn Minuten mit dem Auto gebraucht. Kurz vor Mittag war auf den Straßen nie viel los. Gelassen folgte sie den Anweisungen ihres Navis in die Bachallee.
Während der gesamten Fahrt hatte sie über die Freisprechanlage ihres Wagens telefoniert. Zunächst mit dem Partyservice, der morgen früh anrollen sollte, mit Kühlboxen, Antipasti mit Prosciutto und einem mediterranen Buffet. Die Kellner würden
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