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Todesfrist

Todesfrist

Titel: Todesfrist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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ein Sadist oder religiöser Fanatiker gewesen, der in seinem Sohn ein Ventil für seine Machtausübung gesucht hatte. Doch etwas fehlte in diesem Bild. Das Warum?
    »Auf den Tonbändern erwähnen Sie ein Gedicht, das Ihr Vater öfter wiederholte, wenn er … seine Erziehungsmaßnahmen an Ihnen ausübte.«
    »Ich hasse es.«
    »Um welches Gedicht handelte es sich?«
    »Es sind bloß Reime … ich meine, ich kann mich nicht mehr daran erinnern.« Er kaute an den Nägeln. »Können wir über etwas anderes reden?«
    »Natürlich. Trinken Sie einen Schluck Wasser, und atmen Sie tief durch.«
    Sogleich entspannten sich Carls Schultern.
    »Was halten Sie davon, wenn wir Ihren Vater fragen, ob er Ihnen einen Brief schreibt?«
    »Er ist tot.«
    »Ich weiß, aber was könnte in diesem Brief stehen?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Wenn Sie es wüssten, was würde …?«
    »Können wir bitte über etwas anderes reden!« Carl nahm die Fingerkuppe aus dem Mund und wischte sich das blutige Nagelbett an den Jeans ab.
    »Ja, gut«, seufzte Rose. »Worauf haben Sie Lust?«
    »Wann haben Sie Geburtstag?«
    Im ersten Moment war sie perplex. »Interessiert Sie mein Sternzeichen?«
    Ihre Reaktion sollte distanziert und sachlich klingen, aber mit
einer Spur Ironie. Insgeheim fragte sie sich, ob er ihr wohl etwas schenken wollte. Wie schmerzhaft würde es für ihn sein, wenn sie das Präsent ablehnte?
    Er schüttelte den Kopf. »Nein, bloß Ihr Geburtstag.«
    »Was würde Ihnen das nutzen? Wir sollten uns auf andere Dinge konzentrieren.«
    »Ich habe es sowieso schon im Internet gegoogelt. Wir haben am selben Tag Geburtstag. Aber ich wollte es von Ihnen hören.« Er klang enttäuscht.
    »Sie wissen, wie ich dazu stehe. Wir haben noch etwa fünfzehn Minuten Zeit. Wie wäre es zum Abschluss mit einer Entspannungsübung?«
    Er blickte zum Radiowecker. »Von mir aus.«
    Rose erhob sich und klappte die Lamellen beider Jalousien zu. Ein schummriges Dämmerlicht herrschte im Zimmer. Sie schaltete den CD-Player ein und dimmte die Meditationsmusik so weit, dass sie gerade noch zu hören war. Aus einem Schrank nahm sie ein Pendelmetronom und stellte es zwischen ihnen auf den Tisch.
    Carl rückte unruhig auf der Couch nach hinten. »Wird das eine Hypnose?«
    »Nein, aber wenn Sie damit einverstanden sind, versuchen wir eine Tiefenentspannung. Es ist so ähnlich wie autogenes Training.«
    »Werde ich mich nachher an alles erinnern können?«
    Rose musste unwillkürlich schmunzeln. »Natürlich. Und ich werde Sie nicht verhexen – versprochen.«
    Er lächelte angespannt. »Okay.«
    »Was ist das schönste Erlebnis, an das Sie sich gern erinnern?«
    »Mein siebter Geburtstag«, antwortete er prompt.
    »Oh, schön. Nehmen wir also Ihren Geburtstag als Anhaltspunkt.«
    Carls Wangen zuckten, er war aufgeregt. »Okay.«
    »Gut. Entspannen Sie sich. Setzen Sie sich aufrecht hin, Rücken
gerade, lassen Sie die Arme locker herunterhängen, und konzentrieren Sie sich auf die Bewegung des Pendels.«
    Rose beobachtete Carls Atemrhythmus einen Moment lang, dann beugte sie sich vor, verschob das Gewicht des Pendelarms nach unten und stieß es an. Das Metronom begann langsam zu ticken.
    Tick … tack … tick … tack …
    »Atmen Sie tief und regelmäßig«, sagte sie mit einer entspannten Stimme, die sie dem Takt des Pendelmetronoms anpasste. »Konzentrieren Sie sich auf die Bewegung des Pendels. Die Umgebung blendet sich aus – wird dunkel. Ihr Puls beruhigt sich. Sie hören nur noch diesen Rhythmus, und Ihr Herz beginnt im Einklang zu schlagen.«
    Tick … tack … tick … tack …
    Obwohl das Diktafon die Trancesitzung aufzeichnete, nahm Rose Stift und Block zur Hand, falls Sie sich Notizen machen musste.
    Ihre Stimme wurde weicher. »Ihre Arme und Beine werden schwer. Sie spüren Ihre Füße fest auf dem Boden. Energie fließt durch Ihren Körper. Ihre Stirn wird kühl. Ein angenehmes Gefühl der Ruhe breitet sich in Ihnen aus.«
    Carl nahm die Sache offensichtlich ernst. Nach einer knappen Minute sanken seine Lider etwas herunter. Sein Atem wurde tiefer und langsamer.
    »Wenn Sie einatmen, konzentriert sich Ihr Bewusstsein auf Ihren Bauch.« Rose machte eine Pause. »Wenn Sie ausatmen, dehnen sich Ihr Körper und Ihr Bewusstsein aus. Ein … und aus … schließen Sie die Augen.«
    Im selben Moment fielen Carl die Augen zu.
    »Es ist der 6. November«, sagte Rose. »Ihr siebter Geburtstag. Wo befinden Sie sich gerade?«
    »Ich …« Carl hielt

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