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Todesfrist

Todesfrist

Titel: Todesfrist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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machten sich die Worte kinderlos und geschieden in der Biografie einer Sachbuchautorin und Spezialistin für Kindertherapie? Eigentlich war das völlig egal. Nach dem katastrophalen Ende ihrer Liaison mit Ben Kohler und ihrer bevorstehenden Scheidung musste sie sich wohl eingestehen, dass sie es nicht auf die Reihe brachte, eine glückliche Beziehung zu führen. Was verdammt noch mal hatte sie falsch gemacht, dass ihr Ehemann in den Armen einer anderen landete? Es konnte doch nicht bloß daran liegen, dass Anne Gleitcreme verwendete oder eng geschnittene schwarze Slips trug!
    Helen griff zum Handy und wählte die Telefonnummer auf der Ultraschallaufnahme. Ein Tonband erklärte ihr, dass die Praxis von Dr. Rachovsky um 14.45 Uhr öffne. Auch gut, bis dahin würde sie herausfinden, wo der Arzt ordinierte.
     
    Dr. Rachovskys Praxis lag am südlichen Stadtrand. Die Räume erinnerten Helen an die ihres Gynäkologen. Parkettboden aus Buche, saftig grüne Zimmerpflanzen, helle Fensterfronten, im Warteraum Fotos von Babys und Frauenmagazine im Zeitschriftenständer. Sogar der Pfefferminzgeruch kam ihr bekannt vor. Beim Anblick der schwangeren Frauen im Wartezimmer zog sich ihr Magen zusammen.

    Die Sprechstundenhilfe saß umringt von Bonsaibäumen hinter einem Pult. Das Wasser eines Steinbrunnens plätscherte im Hintergrund. »Haben Sie einen Termin?«, säuselte die Dame.
    Helen schüttelte den Kopf. »Mein Name ist Doktor Helena Berger. Ich bin Psychiaterin«, log sie, »und würde mich mit dem Kollegen gern über eine gemeinsame Patientin unterhalten.«
    Die Dame sprach mit ihrem Chef über die Gegensprechanlage. Während Helen darauf wartete, dass sich die Tür zum Ordinationsraum öffnete, kreisten ihre Gedanken ständig um Anne Lehner. Sie durfte sich nicht verplappern! Sie hatte zwar Psychologie studiert, war aber »nur« Therapeutin und Anne Lehner ihre »Klientin«, nicht »Patientin«. Doch Helens Chancen standen wesentlich besser, wenn sie sich mit einem Kollegen unter vier Augen, von Arzt zu Arzt, über eine gemeinsame Patientin austauschte.
    Fünfzehn Minuten später saß sie in Dr. Rachovskys Besprechungszimmer. Der Raum war bis zur Decke mit Bücherregalen verbaut, die zum Bersten mit Fachliteratur gefüllt waren. Einige Diplome hingen an der Wand.
    Rachovsky war etwas beleibt. Sein Alter war schwer zu schätzen. Die breiten Koteletten und der graue Vollbart, den er ohne Schnurrbart im Stile der Amish-People trug, machten ihn bestimmt einige Jahre älter. Helen schätzte ihn auf um die fünfzig. Eine schmale Lesebrille saß auf seiner Nasenspitze. Offensichtlich trieb er regelmäßig Sport, denn auf dem Schreibtisch standen Fotos, die ihn beim Segeln, Reiten und Radfahren zeigten. In der Obstschale lagen Karotten, Äpfel und Kohlrabi. Vielleicht war er Vegetarier. Etwas anderes war ebenso faszinierend. Wie ihr eigener Frauenarzt hatte auch Dr. Rachovsky unglaublich große Hände und breite Finger.
    Er legte die Unterarme auf den Schreibtisch. »Meine Sprechstundenhilfe sagte mir, Sie wollen über eine gemeinsame Patientin sprechen.« Seine Stimme klang sonor und ruhig.
    Helen saß auf dem Besucherstuhl und schlug die Beine übereinander. »Es geht um Anne Lehner.«

    Rachovsky nickte. »Ich möchte nicht unhöflich sein, aber darf ich Ihren Ausweis sehen?«
    »Natürlich.« Helen kramte in ihrer Handtasche. Die Visitenkarte konnte sie vergessen. Die wies sie als Psychotherapeutin aus. Sie reichte Rachovsky ihren Führerschein.
    »Aha. Doktor Helena Berger, sehr schön. Wo ordinieren Sie?«
    »In meiner Praxis in Grießkirchen, als Vertretung an der Baumgartner Höhe und als Dozentin an der Uni Wien.« Tatsächlich hatte sie während ihrer Ausbildung zwei Jahre in der psychiatrischen Anstalt der Baumgartner Höhe gearbeitet und später Vorträge an der Uni gehalten. Sie durfte sich mit ihren Behauptungen allerdings nicht zu weit aus dem Fenster lehnen.
    »Meine Fachgebiete sind dissoziative Persönlichkeitsstörungen und Folgen von sexuellem Missbrauch an Minderjährigen.«
    Er blähte die Wangen. »Starker Tobak. Wie kann ich Ihnen helfen?«
    »Anne Lehner ist bei mir in Behandlung«, erklärte Helen.
    »Wundert mich eigentlich«, unterbrach er sie. »Ist sie medikamentös eingestellt?«
    Helen schüttelte den Kopf. »Ich wollte ihr Psychopharmaka gegen Depressionen verschreiben. Ich fürchte, sie kommt mit ihrer Schwangerschaft nicht zurecht. Möglicherweise stößt sie das Kind ab. Sie ist fünfundvierzig

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