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Todesfrist

Todesfrist

Titel: Todesfrist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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wurde laut.«
    »War er auf Sie wütend?«
    »Nein, er hat mich an diesem Tag nicht geschlagen.«
    »War er auf Ihre Mutter wütend?«
    »Er hat sie wegen irgendetwas angeschrien, was damals gewesen war, und sie hat geweint. Mehr weiß ich nicht – die Tür war geschlossen.«
    »Kam das öfter vor?«

    »Nein, nie. Ich habe mir an diesem Abend die Bilder von Abraxas angesehen. Er sitzt auf dem Hausdach und wartet darauf, dass die kleine Hexe von der Hexenversammlung zurückkommt.«
    »Was hat Ihr Vater gesagt, bevor er die Tür geschlossen hat?«
    »Der Rabe ist ziemlich frech zur kleinen Hexe und …«
    »Was hat Ihr Vater gesagt?«
    »Ich weiß es nicht!«
    »Denken Sie an die weiße Taube. Stellen Sie sich vor, Sie wären diese weiße Taube. Sie weiß es!«
    Carl öffnete die Augen. Obwohl die Lamellen der Jalousie zugeklappt waren, blinzelte er. »Ich sagte, ich weiß es verdammt noch mal nicht!«
    »Aber die weiße Taube weiß es …«
    Carls Kopf wurde rot. »So ein Quatsch!«
    »Sagen Sie es mir«, verlangte Rose.
    »Dass ich immer brav und artig bin!« Seine Stimme überschlug sich. »Er hat meine Mutter daran erinnert!«
    »Und was noch?«, hakte Rose nach.
    »Nichts!«
    Sie beugte sich vor. »Was noch?«
    »Dass sie die Familie nicht mehr verlassen darf! Sind Sie jetzt zufrieden?« Er spie die letzten Worte hasserfüllt aus. Dann sank er erschöpft zurück.
    Rose merkte, wie sein Herz raste. Ihr Puls ging ebenso schnell. Während sich Carl den Speichel aus dem Mundwinkel wischte, schaltete sie das Metronom aus. Es war vorbei. Carl hatte ihr unbewusst den entscheidenden Hinweis gegeben. Nicht mehr verlassen darf!
    »Danke«, sagte sie nur.
    Carl brauchte eine Minute, um sich zu beruhigen. »Wofür?«, fragte er schließlich.
    »Dass Sie mir die Wahrheit gesagt haben.«
    »Ich … ich weiß nicht, ob das überhaupt stimmt«, stammelte er.
    »Ich denke schon.« Rose lehnte sich zurück. »Ihre Mutter drohte,
die Familie zu verlassen, falls Sie ungezogen, schlimm oder unartig sind, nicht wahr?«
    Carl zuckte mit den Schultern. »Möglich.«
    »Hat Ihr Vater Ihre Mutter geliebt … vielleicht sogar verehrt oder vergöttert?«
    »Kann sein … ich denke schon.«
    »Ich auch. Und ich vermute, Ihr Vater hat Sie deshalb so streng erzogen, weil er Angst hatte, seine Frau könnte ihn verlassen.« Sie machte eine Pause. »Erneut verlassen«, fügte sie hinzu. »Möglicherweise nicht nur, weil Sie unartig waren, sondern auch wegen eines anderen Mannes.«
    Vielleicht war es sogar öfter vorgekommen, dachte Rose. Vieles lag noch im Dunkeln. Irgendetwas jedoch hatte diese Frau in die Arme anderer Männer getrieben. Waren es Patienten, verheiratete Ärzte oder junge Krankenpfleger gewesen? Vollkommen gleichgültig! Der Grund war entscheidend.
    »Es ist denkbar, dass Sie deshalb so oft umgezogen sind – weil Ihr Vater gemeinsam mit Ihrer Mutter und Ihnen ein neues Leben beginnen wollte.« Rose war sich durchaus bewusst, wie das klang. Der Satz implizierte, dass Carls Mutter in jeder Stadt ein Verhältnis gehabt hatte.
    Carl blickte auf den Radiowecker. »Unsere Zeit ist um.«
    »Ich weiß, danke. Eine Sache noch …« Rose wartete, bis sie sicher war, seine volle Aufmerksamkeit zu haben. »Vielleicht war es das, was Ihr Vater Ihnen am Sterbebett sagen wollte. Dass er sich für die Misshandlungen entschuldigt und dass er damit nur die Familie zusammenhalten wollte.«
    »Blödsinn!«
    Rose griff zum Tonbandgerät und schaltete es aus. Sie erhoben sich gleichzeitig.
    Sie brachte ihn zur Tür. »Denken Sie darüber nach.« Sie wusste, das Thema würde ihn noch lange und intensiv beschäftigen.
    Als Carl ihr die Hand reichte, spürte Rose, dass sich etwas in ihrem Unterleib löste.

    Ein neuerlicher Krampf? Bitte nicht!
    Sie registrierte nicht mehr, wie Carl sich verabschiedete und das Haus verließ. Sie stützte sich an der Kommode ab. Eine Vase fiel um. Nein, nicht schon wieder! Panik schnürte ihr die Kehle zu, als ein Schwall warmen Blutes an der Innenseite ihrer Oberschenkel die Beine hinunterlief.

21
    Helen saß in ihrem Wagen und betrachtete die Ultraschallaufnahme aus Annes Wäscheschrank. Dr. med. Konstantin Rachovsky stand auf dem Rand. Daneben eine Telefonnummer. Sollte sie anrufen? Und dann? Natürlich weiter auf eigene Faust recherchieren. Etwas anderes blieb ihr nicht übrig.
    Sie dachte an Frank. Wie lange würden sie noch verheiratet sein? Konnte sie die Ehe retten? Wollte sie das überhaupt? Wie

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