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Todesfrist

Todesfrist

Titel: Todesfrist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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schlüpfen, der mit schnellem Lauf in die Stube sprang, um dem kleinen Konrad mit seiner mannsgroßen Schere die Daumen abzutrennen. Ohne Daumen steht er dort – die sind alle beide fort. Mit dem entsprechenden Schneidewerkzeug konnte man viele grausame Dinge anrichten.
    Was stand danach auf dem Programm? Der Suppen-Kaspar verhungerte, der Zappel-Philipp wurde lebendig unter einem Berg von Geschirr begraben, Hans-Guck-in-die-Luft stürzte vom Steinufer in den Fluss, und der fliegende Robert wurde vom Sturm fortgerissen. Sabine erinnerte sich an Sneijders Kommentar aus dem Diktafon, dass der Mörder überdurchschnittlich intelligent sei. Neun Geschichten – neun Tote. Im Moment hatten sie nicht einmal die Hälfte erreicht – oder, wie Sneijder es formuliert hatte: Sie sahen noch nicht das ganze Bild.
     
    Sie sprach mit Sneijder über den Fall, und die Zeit verging schnell. Während der Landung läutete Sneijders iPhone. Seelenruhig nahm er das Gespräch entgegen.
    »Sind Sie verrückt?«, zischte Sabine. »Schalten Sie das Ding aus!«
    Er wedelte mit der Hand, um sie zum Schweigen zu bringen, und redete weiter. Dann legte er auf und tippte eine SMS. Der Flieger ging tiefer in den Sinkflug. Alle Passagiere waren bereits
seit Minuten angeschnallt. Der Druck verschloss Sabines Ohren. Schließlich sprang eine Stewardess von ihrem Sitz auf und stürzte zu ihnen.
    »Machen Sie das sofort aus!«, rief sie. »Das ist nur in Notfällen gestattet!«
    »Das ist ein Notfall!«, murrte Sneijder. Er tippte die SMS zu Ende und steckte das Telefon weg. »Sie sollten sich lieber hinsetzen und anschnallen.«
    Im selben Moment berührten die Räder den Boden. Die Stewardess taumelte zurück und klammerte sich an das Gepäckfach.
    Sneijder drehte sich zu Sabine, als wäre nichts geschehen. »Das war die Wiener Kripo«, erklärte er. »Die holen uns in einer Stunde am Flughafen ab. Ich habe unserem Kontaktmann eine SMS geschickt. Er heißt Ben Kohler.«

25
    Warum sollte jemand eine Psychotherapeutin entführen und verstümmeln und anschließend eine andere in die Sache hineinziehen? Diese Frage geisterte seit Stunden durch Helens Kopf. Das Spiel des Verrückten sah aus, als wollte er Rose und sie gegeneinander ausspielen. Bis vor Kurzem hatte Helen noch gedacht, dass sie mit dieser Frau nur eine professionelle Therapeuten-Klienten-Beziehung verband. Durch Franks Seitensprung teilte sie mit Rose, die eine undurchsichtige Doppelrolle spielte, jedoch mehr, als ihr lieb war.
    Rose Harmanns Entführer musste Psychotherapeuten hassen, so viel stand fest. Würde er sonst eine Frau verstümmeln und die andere dafür verantwortlich machen wollen? Anfänglich hatte Helen vermutet, dass es sich dabei um einen ihrer eigenen Klienten handeln könnte. Mittlerweile war sie sicher, dass einer von Dr. Harmanns Klienten dahintersteckte. Um die Wahrheit zu erfahren, musste sie deshalb in Rose Harmanns Praxis einbrechen.
    Sie parkte in der Bachallee, in der sie gestern schon gewesen war. Allerdings nicht vor jenem hypermodernen Wohnblock mit Glasaufzug und Wellnessbereich, in dem Anne Lehner lebte, sondern einige Hausnummern davor. Direkt vor dem Schild, an dem sie gestern vorbeigefahren war und das auf Harmanns Praxis hinwies. Zwischen zwei Einfamilienhäusern mit Vorgärten verbarg sich das einstöckige Gebäude in Form eines Bungalows – die ideale Lage für eine Praxis in dieser noblen Gegend. Gegenüber dem Bungalow lag ein Park, weiter die Straße hinunter eine Bushaltestelle.
    Helen nahm Dusty an die Leine und spazierte über die Straße. Ausführlich studierte sie das Türschild.

    LOGOTHERAPIE UND EXISTENZANALYSE
NACH VIKTOR E. FRANKL
PRAXIS FÜR PSYCHOTHERAPIE
DR. MED. ROSE HARMANN
APPROB. ÄRZTIN
BACHALLEE 17
    Ein Kaugummi klebte über dem Doktortitel. Helen hatte gehofft, die Praxis umrunden zu können und an der Rückseite auf eine Terrassentür zu stoßen. Sie hätte das Glas kurzerhand mit einem Stein eingeschlagen und wäre gewaltsam in die Praxis eingedrungen; verzweifelt genug war sie. Doch das Gebäude bot keinerlei Einstiegsmöglichkeit. Ein Sicherheitsschloss für einen Magnetschlüssel versperrte die massive Kassettentür aus Holz. Helen schob mit dem Fingernagel die Gummidichtung zwischen Tür und Rahmen auseinander. Sie konnte nichts erkennen, aber sie war sicher, dass nicht nur ein Riegel die Tür versperrte, sondern vier oder sechs weitere Bolzen in den Rahmen ragten. Diese Tür würde sie niemals aufbekommen.
    »Mist!«,

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