Todesfuge: Gerda und Otto Königs zweiter Fall (German Edition)
aufgeheizt, dass die forschen Zeitgenossen vor Begeisterung auf den Fingern pfiffen und die etwas reservierteren immerhin in die „da capo“-Rufe der Italiener einstimmten.
Gerda König nutzte die Gunst des Augenblicks und gab ihrem Mann ein unmissverständliches Zeichen zum Aufbruch. Ihr reichte es, der Abend war länger als befürchtet geworden. Gern hätte sie sich auch schon in der letzten Pause davongeschlichen und beneidete die Familie des Bürgermeisters, die nicht so lang ausharren musste wie sie. Die italienischen Gäste des Abends waren offensichtlich alle geblieben.
Von den älteren Damen am Tisch erntete Gerda für ihre Verabschiedung dankbare Blicke und die Hundebesitzerin kündigte gleich an, dass sie selbst auch gerade gehen wollte. Der einzige, der noch nicht in Aufbruchslaune war, war Georg. Der Hauptkommissar hielt die Grappa-Flasche umfasst und meldete mit schon deutlich schwerer Zunge seinen Protest an. Herr Ebert machte dem kurzerhand ein Ende. „Schorsch, es ist nicht unhöflich, wenn man nach der letzten Einlage geht. Frau Felice ist gewiss eine großartige Künstlerin, aber auch sie hat ihren Feierabend verdient. Lass uns gehen.“ Widerwillig folgte Georg seinen Tischgenossen. Vor dem Lokal verabschiedete man sich und Gerda und Otto König bogen in die andere Richtung ab.
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Freitagabend / Geigenstunde
Die Höschen, BHs, Strapse und Strümpfe lagen nach Farben sortiert in der Schublade. Esther Wellenstein hatte einen guten, aber auch sehr teuren Geschmack. Sie strich mit der Hand über die feinen Stoffe und die wertvolle Spitze. Es war Freitagabend und bald würde ihr Mann von dem Besuch bei seiner Mutter zurück sein. Dann wollte sie ihre Vorbereitungen abgeschlossen haben.
Esther war zwar deutlich jünger als ihr Mann, aber das Alter hatte bereits seine Spuren in ihrem einst makellosen Gesicht hinterlassen. Sie wusste, dass es eigentlich keine Rolle spielte, welche Farbe sie auswählen würde, trotzdem bereitete sie sich heute so sorgfältig auf das Zusammentreffen vor wie sonst auch. Sie ging ins Bad, duschte und rasierte sich. Anschließend schlüpfte sie in ein Spitzen-Ensemble und elegante Feinstrümpfe, die sie an einem Strapsgürtel befestigte. Sie betrachtete sich zufrieden in dem großen Spiegel, der an einer Seite des Schlafzimmers hing. In ihrer Reizwäsche fühlte sie sich attraktiv und begehrenswert. Sie wusste, dass dieses etwas frivole Ensemble genau den Vorlieben ihres Mannes entsprach.
Als sie sich kennenlernten, war Sex das prägende Element ihrer Beziehung gewesen und sie hatten sich wild und hemmungslos an jedem nur denkbaren Ort geliebt. Esthers Familie hatte den jungen Mann an ihrer Seite anfangs misstrauisch beäugt. Ein Musiker und dazu aus einer mittellosen Vertriebenenfamilie, das war nicht gerade das, was sich ihre Eltern unter einem standesgemäßen Ehemann für eine geborene von Stücky vorstellten. Esther jedoch blieb hartnäckig und verteidigte ihren Freund im Familienkreis und mit der Zeit erlahmte die Abneigung der Eltern gegen den Partner ihrer Tochter.
Sobald sich der alte von Stücky damit abgefunden hatte, dass seine Tochter ihr Herz an den Lebemann Wellenstein verschenkt hatte und von ihrer Wahl nicht abzubringen war, sorgte er dafür, dass der junge Musiker beruflich reüssieren konnte. Der erfolgreiche Unternehmer war stolz darauf, seinen Stammbaum bis ins Mittelalter zurückverfolgen zu können und verfügte über ein nicht unbeträchtliches Vermögen. Nachdem er erreicht hatte, dass Hans-Peter Wellenstein das Verhältnis zu seiner Tochter vor Gott und dem Staat legalisiert hatte, ließ er seine Beziehungen spielen und verschaffte seinem Schwiegersohn eine gut dotierte Dirigentenstelle. Esthers Karriere verlief in den Stationen „Tochter“ und „Ehefrau“; ihr war es wichtig, dass sich ihr Lebensstandard nicht veränderte.
Die Verliebtheit der ersten Jahre war längst verflogen, die körperliche Attraktivität hatte nachgelassen und die hemmungslosen Liebesspiele existierten nur noch in Esthers Erinnerungen. Sie war einsam in dem großen Haus. Aus dem gemeinsamen Schlafzimmer waren die Wellensteins schon vor Jahren ausgezogen, nur an den Freitagen wurde es wieder mit Leidenschaft gefüllt.
Esther hüllte sich in einen Morgenmantel aus Satin, der sich an ihren Körper schmiegte und erahnen ließ, dass ihre Figur trotz ihres Alters immer noch ansehnlich war. Bevor sie das Schlafzimmer verließ, trug sie sich noch etwas von dem
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