Todesfuge: Gerda und Otto Königs zweiter Fall (German Edition)
Parfum auf, das auf dem Nachttischchen stand. Längst benutzte sie im Alltag keinen Duft mehr, aber zu ihrem Freitagsritual gehörte er dazu. Esther spürte eine Welle der Nostalgie und Wehmut in sich hochsteigen. Diesem lähmenden Gefühl wollte sie sich allerdings nicht hingeben. Sie hatte sich mit ihrem jetzigen Leben arrangiert, mit allem was dazugehörte.
War es denn nicht in vielen Partnerschaften so, dass man sich mit der Zeit auseinanderlebte? Da waren sie und ihr Mann sicher nicht die einzigen, die sich im Alltag aus dem Weg gingen. Heute würden sie wieder einmal zusammenfinden und Esther gestand sich ein, dass wie jeden Freitag die Hoffnung in ihr zu keimen begann, dass der Abend vielleicht der Anfang von einem Neubeginn sein könnte. Sie warf einen letzten prüfenden Blick auf das Schlafzimmer; es war alles vorbereitet. Der Sessel stand da, wo er zu stehen hatte, die Sektgläser und der Kühler standen griffbereit auf dem Nachttisch. Die Sektflasche würde sie erst ganz zum Schluss aus dem Kühlschrank holen.
Im Flur unten hörte sie Geräusche; ihr Mann musste zurückgekommen sein. Schnell zog Esther die Schlafzimmertür hinter sich zu und ging runter.
„Wie geht es deiner Mutter?“
„Gut. Sie freut sich schon sehr auf mein Konzert, die h-Moll-Messe hatte sie laut aufgedreht. Dass ich an ihren Hochzeitstag gedacht habe, hat sie besonders gefreut.“
Esther nickte nur; es war zwecklos, ihrem Mann jetzt vorzuhalten, dass sie es gewesen war, die ihn an diesen Termin erinnert und auch den großen Rosenstrauß für ihre Schwiegermutter besorgt hatte. Sie wollte den Abend nicht gefährden; für ein wenig Intimität mit ihrem Mann schluckte sie seine Selbstgefälligkeit ein weiteres Mal herunter. Es lohnte sich nicht, sich darüber aufzuregen und verständlich machen konnte sie Hans-Peter sowieso nicht, was sie störte. Er lebte mittlerweile in seinem eigenen Universum der Selbstherrlichkeit. Alle um ihn herum hatten sich seinen Wünschen und Bedürfnissen unterzuordnen, dann war alles für ihn in Ordnung. Solange die Wellenstein-Welt im Gleichgewicht war, ließ es sich gut und komfortabel darin leben. Der Maestro war ein witziger und geistreicher Unterhalter, der mit gezielten Komplimenten Männer wie Frauen für sich zu gewinnen verstand. Viele sonnten sich gern in seinem Glanz; ihn persönlich zu kennen, schmeichelte der Eitelkeit vieler Mitmenschen.
Bei Wellenstein gab es allerdings nichts umsonst. Die Gunst wurde mit abwägendem Weitblick gewährt oder wieder entzogen. Fiel man in Ungnade, dann sorgte der Meister höchstpersönlich dafür, dass der Abstand zu seinen Sphären ein unüberbrückbarer wurde. So hatte der Dirigent im Laufe seines langen Berufslebens eine große Schar an Bewunderern, Schmeichlern und vorteilsbesessenen Opportunisten um sich versammelt. Wellenstein pflegte seinen Hofstaat, ließ aber auch ohne Skrupel diejenigen fallen, die ihm nicht mehr von Nutzen waren.
Esther nahm ihrem Mann die Jacke ab. „Ich habe schon alles vorbereitet. Möchtest du sehen, welche Garderobe ich ausgewählt habe?“ Sie wollte gerade den Gürtel des Morgenmantels lösen, aber ihr Mann schüttelte nur den Kopf. „Lass nur. Das sehe ich doch nachher sowieso. Ich bin noch in der Bibliothek und komme dann später nach.“
Esther ließ die kleine Kränkung nicht weiter an sich heran, sondern ging in die Küche, wo sie noch etwas Knabbergebäck in einem silbernen Schälchen anrichtete. Die Freitagabende waren schon so etwas wie eine Gewohnheit geworden. Sie gehörten seit ungefähr zehn Jahren zu ihrem Leben dazu. Ihr Mann hatte die Idee dazu gehabt und nach anfänglichem Zögern hatte sich Esther auf das Spiel eingelassen, das von da an regelmäßig und nur mit geringfügigen Variationen in dem verwaisten Schlafzimmer stattfand.
Esther hinterfragte ihren Alltag schon längst nicht mehr. Es hatte eine Phase in ihrem Leben gegeben, da war sie unglücklich, fühlte sich in der großen Villa wie in einem goldenen Käfig eingesperrt, während ihr Mann draußen seinen amourösen Abenteuern nachging. Ihr war es nämlich nicht verborgen geblieben, dass es im Leben ihres Mannes viele Frauen gegeben hatte. Sie hatte allerdings nie darüber gesprochen, denn was hätte sie ihrem Mann sagen, was von ihm fordern sollen? Er lebte sein Leben einfach weiter. So hatte sie ihn kennengelernt, so blieb er. Im Hause Wellenstein herrschte mittlerweile fast vollständige Sprachlosigkeit.
Esther wurde von dem
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