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Todesfuge: Gerda und Otto Königs zweiter Fall (German Edition)

Todesfuge: Gerda und Otto Königs zweiter Fall (German Edition)

Titel: Todesfuge: Gerda und Otto Königs zweiter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Wierlemann
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allen Beteiligten vertraut. Michael kannte seine Rolle und hatte nie dagegen aufbegehrt.
    Esther interessierte ihren Mann schon lange nicht mehr. Das Gefühl des Begehrens war längst einer grenzenlosen Gleichgültigkeit gewichen. Er war es, der den Einsatz zur Lust gab und er weidete sich an dem Schauspiel, das sich vor seinen Augen vollzog. Längst schon hatte er seine amourösen Bekanntschaften - lange Affären oder kurze Bettgeschichten - aufgegeben. Die Frauen bereiteten ihm keine Lust mehr. Er spürte, dass sein Körper alt geworden war und er verachtete ihn. Erregung verschaffte ihm nur noch die Macht. Und die ließ er Esther und Michael spüren. Wie seinen Musikern diktierte er ihnen das Tempo, verlangte qualvolle Pausen oder forderte ein da capo. Das Finale zögerte er so lange wie möglich hinaus und ergötzte sich daran, wie demütig seine Position der Macht anerkannt wurde.
    Noch erregte ihn das Spiel, in dem Michael bereits der zweite Mitspieler in zehn Jahren war und das anfangs nicht gerade auf Gegenliebe bei seiner Frau gestoßen war. Als sie jedoch merkte, dass diese Treffen die letzte Möglichkeit der Annäherung darstellten, willigte sie letztlich doch ein und fügte sich dem Wunsch ihres Mannes. Wellenstein spürte jedoch, dass das Feuer zwischen ihm und seiner Frau endgültig verglüht war. Er hatte aber auch gemerkt, dass Esther sich von den Treffen mehr versprach und so hatte er nach einem Weg gesucht, sie zu befriedigen und auch sich Lust zu verschaffen. Er genoss die Macht; sie erregte ihn und es war ihm egal, wer ihm diese Lust verschaffte. Michael war austauschbar, er war nur das Mittel zum Zweck.
    Seinen Vorgänger hatten sie verabschiedet, als dieser begann, Ansprüche zu stellen und aus ihrem Arrangement finanziell Nutzen ziehen wollte. Mit einer großzügigen Abfindung hatte man sich damals getrennt; einen großen Teil von Esthers Erbe hatten sie dafür eingesetzt, um vor weiteren Forderungen und Erpressungen sicher zu sein.
    Es dauerte jedoch nicht lange, bis Wellenstein wieder nach einer Ménage-à-trois verlangte. Esther hatte dann eine Chiffre-Anzeige aufgegeben und sich mit den drei Kandidaten, die in die engere Wahl gekommen waren, verabredet. Wellenstein hatte ihr die Entscheidung überlassen, wer die Rolle des Handwerkers übernehmen sollte. Sie wusste, welche Voraussetzungen der junge Mann zu erfüllen hatte und Michael füllte seine Rolle zur allgemeinen Zufriedenheit aus. Er war verschwiegen, zurückhaltend und stellte weder Bedingungen noch Forderungen.
    Esther war froh, dass sie sich mit dem Öffnen der Sektflasche beschäftigten konnte. Es machte sie traurig, dass sie ihrem Mann nicht mehr das zu geben vermochte, was er brauchte und sie fand es erniedrigend, dass er nie mit Michael sprach. Er ließ ihn seine Macht spüren und machte kein Hehl daraus, dass er ihn verachtete. Sie hatte ihm das perfekte Opfer zugeführt, das klaglos jede Demütigung schluckte. Esther verdrängte die aufkeimenden Schuldgefühle. Sie alle waren schließlich erwachsene Menschen, jeder war aus freiem Willen hier. Was sie taten, ging nur sie drei etwas an.
    Es hatte einige Treffen gedauert, bis sich die Choreographie des Abends herauskristallisiert hatte. Und auch wenn Michael sich gewünscht hätte, teilzuhaben an echter Intimität und in diesen Augenblicken niemanden mehr begehrte als Esther, war es ihm klar, dass Wellenstein allein die Spielregeln vorgab und dass er sich dem Willen des großen Dirigenten zu beugen hatte. Und so stand der junge Mann auch an diesem Abend auf, ohne den Wunsch erfüllt bekommen zu haben, von dem er mittlerweile regelmäßig träumte. Der Maestro wies Michael seinen Platz zu und dieser gehorchte. Er verließ das Schlafzimmer; für heute hatte er seine Aufgabe erfüllt. Er fand allein den Weg nach draußen.
    Die Straßen waren leer, das Fußballspiel hatte die Leute vor den Fernseher gelockt . Von den Nachbarn unbeobachtet, verließ ein Geigenschüler die Villa des Dirigenten. Auch für Wellenstein war der gemeinsame Abend vorbei, er zog sich wieder in die Bibliothek zurück und hörte Musik.
    Esther vermied es , im Bad in den Spiegel zu blicken. In ihre Scham mischte sich die Trauer darüber, dass die Lust wieder einmal ohne Liebe gekommen war und dass sie die Hoffnung auf ein Stückchen Intimität mit ihrem Mann auf den nächsten Freitag verschieben musste.
     

- 3 -
    Reise in den Kopf, Teil 1
     
    Wer lesen kann , lese; meine Botschaft ist klar. Doch das ist erst

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