Todesfuge: Gerda und Otto Königs zweiter Fall (German Edition)
glauben.“
Gerda überflog den zusammengeklebten Text. Wirre Gedanken, schwülstiger Stil. Ganz offensichtlich wollte jemand mit Wellenstein abrechnen, allerdings trat dieser Jemand nicht aus seiner Deckung hervor. Der Absender stellte keine Forderungen, setzte keine Ultimaten. Er wollte nur Angst verbreiten. Und das schien ihm zu gelingen, dachte Gerda, wenn sie ihren Gesprächspartner so ansah.
„Ich lese ziemlich viel Wut und Enttäuschung aus diesen Zeilen. Was sagt denn die Polizei zu den Briefen? Sie haben doch schon mit Georg Haller gesprochen, oder?“
„Ich komme gerade von dort. Die Briefe habe ich dem Hauptkommissar auch gezeigt, aber ich bezweifle, dass sich dieser junge Kerl richtig gut in andere hineinfühlen kann. Das sieht bei Ihnen ganz anders aus, Frau König. Sie haben da so eine Art - ich kann es schwer beschreiben. Aber ich würde mir wünschen, dass Sie sich die Briefe einmal ganz in Ruhe ansehen. Auf der Polizei sind die Kopien und ich habe versprochen, dass ich die Originale morgen früh vorbeibringe.“
Gerda wusste nicht, was sie davon halten sollte. Sie war schließlich keine Polizistin und die Verantwortung schien ihr doch enorm zu sein. Der Absender war offensichtlich eine tickende Zeitbombe.
„Bitte Frau König, ich weiß nicht, wem ich in dieser Angelegenheit mehr vertrauen würde. Schließlich haben Sie der Polizei doch vor kurzem auch bei einem ziemlich aussichtslosen Fall geholfen. Ich habe Angst, dass das mit den Briefen und den Anschlägen so weitergeht. Ich kann nachts schon nicht mehr schlafen. Helfen Sie mir!“
Nie hätte Gerda König sich diese Szene ausmalen können. Der große Wellenstein bei ihr am Küchentisch, ein Häuflein Elend. Die strahlende Erscheinung, der souveräne Auftritt, die große Geste waren einem nervösen Zucken um die Mundwinkel und purer Verzweiflung gewichen. Vor der Friseurin saß ein anderer Mensch. Nur eine entfernte äußerliche Ähnlichkeit erinnerte sie an ihren ehemaligen Dirigenten.
Nach dem Fall „Merz“ hatte Gerda sich geschworen, nie wieder in die Arbeit der Polizei einzugreifen. Sie liebte ihren Beruf und es verlangte sie auch nicht nach besonderer Aufregung; sie konnte getrost auf Räuber-und-Gendarm-Spielchen verzichten. Allerdings hatte sie doch ein wenig Gefallen daran gefunden, sich mit dem Abgründigen, dem Verbotenen und Gefährlichen zu beschäftigen. Doch anstatt selbst auf Verbrecherjagd zu gehen, zog sie die Lektüre von Krimis der gefährlichen Realität vor. Inzwischen hatte sie sich schon durch eine stattliche kleine Bibliothek geschmökert. In dieser Form schien ihr die Begegnung mit den kriminellen Elementen sicher und durchaus unterhaltsam.
Jetzt saß dieser Mann vor ihr und bat sie darum, ihre guten Vorsätze über Bord zu werfen. Gerda war nicht wohl bei dem Gedanken, sich womöglich in Gefahr zu begeben. Hatte sie das letzte Mal einfach aus dem Bauch heraus gehandelt, wusste sie jetzt aus Erfahrung, welches Risiko sie mit einer Zusage einging. Otto und sie hatten großes Glück gehabt, dass ihnen nichts passiert war, als sie dem Auftragskiller nachstellten. Aber Gerda wusste auch, dass sie das Glück nicht gepachtet hatten. Auf der anderen Seite reizte es sie aber auch, ihr Krimi-Wissen endlich einmal an einem konkreten Fall überprüfen zu können. Konnte sie es mit ihren literarischen Ermittlervorbildern aufnehmen?
Gerda wusste, dass es vielleicht ein Fehler war, trotzdem nickte sie. „Einverstanden. Ich schaue mir die Briefe heute Abend genauer an. Aber versprechen kann ich Ihnen nichts, Herr Wellenstein. Bitte haben Sie nicht allzu große Hoffnungen.“
Wellenstein wirkte erleichtert. „Tausend Dank, Frau König. Wenn ich nur irgendeinen Hinweis bekommen könnte, aus welcher Richtung weitere Gefahr droht, dann wäre mir schon sehr geholfen. Ich hole die Briefe dann morgen früh ab, um sie der Polizei zu übergeben.“
„Nicht nötig, dass Sie diesen Weg machen, Herr Wellenstein. Die Wache liegt doch gleich um die Ecke. Ich kann sie gern selbs t vorbeibringen, wenn es Ihnen recht ist. Sie haben morgen bestimmt anderes zu tun, wenn Sie Gäste erwarten.“
„Leider kann ich die Einladung nicht absagen. Ich möchte die Sache mit den Briefen auch nicht an die große Glocke hängen. Sie wissen doch, wie die Leute sind. Und schlechte PR kann ich so kurz vor dem Konzert nicht gebrauchen. Aber bitte kommen Sie und Ihr Mann morgen auch zu unserer Feier vorbei, das würde mich
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