Todesfuge: Gerda und Otto Königs zweiter Fall (German Edition)
Mitarbeiterinnen hatten ihre Arbeit unterbrochen und die Kundinnen verrenkten sich die Hälse, um nichts von dem Schauspiel, das sich ihnen hier so unverhofft bot, zu verpassen. Der Chefin war sofort klar, dass der Salon der denkbar schlechteste Ort für das Gespräch mit Wellenstein war. Kurzentschlossen übergab sie ihre Kundin an eine ihrer Angestellten und führte den Dirigenten behutsam aus der Damenabteilung.
Otto hatte zwar gesehen, dass Wellenstein den Salon betrat, hatte sich aber nichts weiter dabei gedacht , als dieser in die Damenabteilung ging. So ungewöhnlich schien es ihm nicht, dass der Dirigent vor dem Probenwochenende noch etwas mit der Chorsprecherin klären wollte. Dem Aussehen Wellensteins hatte er keine Bedeutung beigemessen. Was die Neuigkeiten von dem Feueranschlag angingen, so hatte Otto heute Morgen noch nicht die richtige Kundschaft auf dem Sessel gehabt. Er wusste von nichts und so war er doppelt erstaunt, als Gerda ihm Bescheid gab, dass sie mit Wellenstein nach oben gehe, weil er dringend Hilfe benötige. Ohne weitere Erklärungen schob sie den apathisch wirkenden Dirigenten zur Tür hinaus.
Wellenstein folgte ihr in die Küche und nahm dankbar einen Kaffee an. Als zwei Tassen auf dem Tisch standen, setzte sich Gerda zu ihm und sah ihn auffordernd an.
„Ich weiß gar nicht so recht, womit ich beginnen soll, Frau König. Es ist alles so verzwickt.“ Gerda legte ihm eine Hand auf den Arm. „Jetzt nehmen Sie erst einmal ein en Schluck und dann legen Sie einfach los.“
We llenstein sah sie dankbar an. Er fühlte, dass es die richtige Entscheidung gewesen war, zu ihr zu kommen. „Von dem Mordanschlag auf meine Frau gestern Abend haben Sie bestimmt schon gehört.“
Gerda nickte nur vage, denn Genaueres wusste sie noch nicht.
„Ich bin gestern am späten Nachmittag aufgebrochen, weil ich vor der Chorprobe noch etwas zu erledigen hatte. Meine Frau war zu Hause und mit ihr zusammen unsere Putzfrau. Normalerweise kommt sie immer freitags, aber weil wir morgen eine Einladung anlässlich meines Geburtstags geben, kam Frau Elmert bereits gestern zum Putzen. Als sie am Abend gehen wollte, sprang ihr Auto nicht an und meine Frau bot Frau Elmert an, ihr ihren Wagen auszuleihen.“ Wellenstein stockte. Es fiel ihm sichtlich schwer zu erzählen, was passiert war. „Jedenfalls hat unsere Putzfrau das Angebot dankbar angenommen, weil sie die Fahrt in die Stadt immer mit einem Großeinkauf verbindet und weil sie auch um diese Zeit mit dem Bus nicht mehr heimgekommen wäre. Sie wollte das Auto heute zurückbringen und sich um den Abschleppdienst kümmern.“
Der Dirigent stützte den Kopf in die Hände und schwieg. Gerda konnte nicht sagen, ob er mit den Tränen kämpfte. Sie wartete ab , bis Wellenstein wieder sprechen konnte.
„Meine Frau stand am Fenster und schaute noch zu , wie Frau Elmert in den Wagen stieg und die Tür schloss. Der Wagen explodierte wahrscheinlich in dem Augenblick, als sie den Schlüssel in der Zündung drehte.“
Gerda schlug die Hände vor den Mund. „Das ist ja grauenvoll! Und Frau Elmert?“ Wellenstein schüttelte nur den Kopf. „Da kam jede Rettung zu spät.“ Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu, dass das jetzt der zweite Mordanschlag in seinem persönlichen Umfeld innerhalb einer Woche sei. Denn ganz gewiss habe das Attentat seiner Frau oder ihm gegolten. Die arme Frau Elmert sei einfach zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen.
Gerda wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Und es war ihr immer noch nicht klar geworden, warum Wellenstein ausgerechnet sie hatte sprechen wollen. „Das ist noch nicht alles, Frau König. Warum ich zu Ihnen gekommen bin, hat etwas hiermit zu tun.“ Er legte drei Briefumschläge auf den Küchentisch und forderte die Friseurin mit einer einladenden Handbewegung dazu auf, die Briefe zu öffnen.
Gerda betrachtete die Briefumschläge erst genau von außen. Dann entfaltete sie die Briefbögen und legte sie nebeneinander auf den Küchentisch. „Drohbriefe?“ Gerda König erfasste mit einem Blick, womit sie es hier zu tun hatte. Doch Wellenstein zuckte die Schultern. „Nicht direkt. Eher so etwas wie Hassbriefe, denn konkrete Drohungen werden nicht ausgesprochen. Den ersten Brief habe ich noch für einen dummen Scherz gehalten. In letzter Zeit scheine ich so manchem Spaßvogel als Zielscheibe zu dienen. Aber am Abend vor der Autobombe habe ich den dritten Brief bekommen. Ich kann jetzt nicht mehr an einen Zufall
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