Todesfuge: Gerda und Otto Königs zweiter Fall (German Edition)
Hirn und du weißt dir trotzdem nicht zu helfen. Es gibt kein Entrinnen. Ich kenne dich und ich finde dich überall. Du musst dich nicht verstecken, versuche nicht zu fliehen. Jeder Widerstand ist zwecklos!
Deine Zeit währte lang genug, jetzt übernehme ich das Kommando. Deine Zukunft liegt in meinen Händen und ich zertrete diese lächerliche kleine Hoffnung, wann es mir beliebt.
Ich werde dir zeigen, was wirklich zählt im Leben. Damit kenne ich mich aus. Ruhm ist schnell verflogen. Geld ist in meinem Universum wertlos, hier wird mit anderer Währung bezahlt.
Wenn nicht bereits das letzte Fünkchen echten Lebens in deinem selbstgefälligen und von Heuchelei nur so strotzenden Alltag ersoffen und erstickt ist, dann erhebe jetzt den Blick und du wirst wenigstens auf deinem letzten Gang Wahrhaftigkeit erfahren.
Aber freue dich nur nicht zu früh. Bevor du durch meine Gnade die Wahrheit empfangen und mich wie ein waidwundes Tier um den Gnadenschuss anwinseln wirst, wird dich das Feuer lehren, was heißes Begehren, was die zehrende Flamme der Liebe und was die Höllenqualen des Fegefeuers aus dir machen: Einen Niemand. Eine unbedeutende Nichtigkeit, die nur aus der Ferne das Glück der anderen betrachtet und an der Unerreichbarkeit zerbrechen wird.
Jetzt schwinge ich den Taktstock und lasse dich tanzen, umringt von deinen Lakaien, die dir nichts ahnend Beifall zollen. Ich nehme dir alles, was ich nie gehabt habe und dessen Wert du mit Füßen trittst.
Mit flammendem Schwert richte ich dich. Lese meine Zeichen, erforsche dein Herz, bring e dein Leben in Ordnung! Besinne dich, ehe es zu spät ist. Deine Zeit läuft, der nächste Richterspruch gilt dir!
Alle Zeugen werden aus entsetzten Mündern lautlos ein „Herr, erbarme dich“ fallen lassen, die Partitur wird sich dieses Mal für immer schließen. Den Beifall für ein verfehltes Leben, die Zustimmung zur selbstherrlichen Verbannung anderer in den Orkus der Bedeutungslosigkeit, das Ja-Sagen zur Zerstörung von Lebensträumen, das alles wird dein Ohr nicht mehr hören. Dein Haupt wird in den Staub sinken. Du verdienst keinen Jubel. Blender, Heuchler, Egoist!
Erfahre durch mich deine gerechte Strafe! Ich bin das Werkzeug all derer, die unter dir und an dir gelitten haben. Und ich bin ein scharfes Schwert, zu allem bereit. Ich habe alles zurückgelassen, alle Träume begraben.
Mein Herz ist eine Schlangengrube, die du beständig genährt hast . Deine Brut verlangt ihr Opfer - mach dich bereit!
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Donnerstagvormittag / Verzweiflung
Die Gespräche in der Damenabteilung verstummten schlagartig. Als Wellenstein die drei Stufen heruntergestiegen war, starrten ihn die Kundinnen wie eine exotische Erscheinung an und begannen, hinter vorgehaltener Hand miteinander zu tuscheln. Hans-Peter Wellenstein hatte keine Augen für die Wartenden und er hatte heute auch noch keinen Blick in den Spiegel geworfen. Dann wäre ihm schlagartig klar gewesen, was die Bärlinger Bürgerinnen so in Aufregung versetzte. Den Salon König hatte nicht der große berühmte Dirigent betreten, sondern nur der Schatten seiner selbst. Sein Gesicht war eingefallen und aschfahl, die Ringe unter den Augen dunkel und die Falten hatten sich tief in die Stirn eingegraben. Wellenstein sah schlecht aus, seine Kleidung war vernachlässigt und ihn umwehte der süßliche Geruch von Alkohol.
Gerda König, die in ihr e Arbeit vertieft war, bemerkte erst, dass etwas nicht stimmte, als es um sie herum merkwürdig still wurde. Die Gespräche, die sonst keine Rücksicht auf die neugierige Kundin auf dem Nachbarstuhl nahmen, brachen ab. Auch wenn hier noch ein Föhn und dort eine Trockenhaube lief, die gewohnte Geräuschkulisse fehlte. Gerda trat aus der Einzelkabine heraus, in der sie gerade eine ältere Kundin frisierte und Wellenstein ging direkt auf sie zu.
Die Friseurin hatte die schreckliche Neuigkeit schon gehört. Es gab kein anderes Gesprächsthema heute Morgen im Salon. Blitzschnell hatte sich die Nachricht von dem Unglücksfall vor der Villa Wellenstein herumgesprochen. Jeder kannte mindestens einen der Nachbarn, der das grausige Spektakel gestern Abend mit eigenen Augen gesehen haben wollte.
Noch bevor Gerda etwas sagen konnte, nahm Wellenstein ihre Hände und stieß verzweifelt hervor: „Helfen Sie mir, Frau König! Sie sind meine letzte Hoffnung. Ich muss unbedingt mit Ihnen sprechen.“
Gerda merkte , wie alle Augen im Salon auf sie gerichtet waren. Ihre
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