Todesgarten
entwickeln würde. Der Fall Daniel Treczok war abgeschlossen, und das
Wochenende stand bevor. Natürlich waren sie alle feiern gegangen.
Als die Nachricht aus der Jugendarrestanstalt eingegangen
war, da war mit einem Schlag die gute Stimmung vorbei gewesen. Wolfgang hatte
ein paar Aspirin eingeworfen und sie mit Espresso hinuntergespült. Danach
fühlte er sich wieder einigermaÃen nüchtern.
Gemeinsam mit Anke nahm er ein Taxi, das sie zur Jugendarrestanstalt
brachte. Auch Anke war wieder ernüchtert, sie hatte auf der Damentoilette den
Kopf eine Weile unters kalte Wasser gehalten. Nun saà sie mit feuchten Haaren
neben ihm und starrte schweigend aus dem Fenster.
Die Fahrt dauerte eine gute halbe Stunde. Am Tor des
unscheinbaren Gebäudekomplexes wurden sie bereits erwartet. Ein Vollzugsbeamter
empfing sie und wies ihnen den Weg zu dem Zellentrakt. Vor einer geöffneten
Zellentür standen zwei weitere Vollzugsbeamte und ein Sanitäter und daneben der
stellvertretende Anstaltsleiter, Gerhard Wüsten. Er begrüÃte Wolfgang mit
ernster Miene. Ein weiterer Sanitäter trat aus der Zelle, gefolgt von dem
Notarzt.
Gerhard Wüsten trat auf Wolfgang zu.
»Ganz schöne ScheiÃe, was?«
»Das kannst du laut sagen. Hat er eine Nachricht
hinterlassen?«
»Nein. Gar nichts. Kein Brief, kein Zettel, nichts. Er
hat nicht mal eine Andeutung gegenüber dem Vollzugspersonal gemacht. Alles war
ganz unauffällig.«
»Wann habt ihr ihn gefunden?«
»Kurz nach zehn. Die Lichter waren da gerade gelöscht.
Einer der Beamten ist an der Zelle vorbeigegangen und hat noch einen Blick
hineingeworfen. Als hätte er eine Ahnung gehabt. Da lag der Junge bereits
regungslos am Boden. Jede Hilfe kam zu spät, er hatte längst zu viel Blut
verloren.«
»Und du hattest Dienst?«
Wüsten hob bedauernd die Schultern.
Der Notarzt trat auf sie zu und zog sich die Schutzhandschuhe
von den Händen. Auch er wirkte ziemlich erschöpft. »Glatter Pulsaderschnitt«,
sagte er. »Hat nicht lange gedauert. Der Junge wusste, was zu tun war.«
Wolfgang sah an ihm vorbei in die Zelle. Dennis lag in
der Mitte des Raums am Boden. Im grellen Licht wirkte seine Haut beinahe
durchschimmernd.
»Er hat das sehr entschlossen durchgezogen«, sagte der
Notarzt. »Suizidale Pulsaderschnitte führen nur selten zu einem tödlichen
Blutverlust. Meistens sind die Schnitte nur oberflächlich. Eher kratzerartig.
Die Menschen können in der Regel gerettet werden. Wenn man sie rechtzeitig
findet natürlich.«
»Aber bei ihm hier war das anders?«
»Kommen Sie mit.« Der Arzt führte ihn in die Zelle und
deutete auf die Schnittverletzungen an den Unterarmen des Jungen. »Sehen Sie
sich die Schnittkanäle an. Sie liegen ziemlich tief und sind sehr passgenau.
Hier hat keiner gezögert. Es kostet ernorme Selbstkontrolle, sich solche
Schnittverletzungen zuzufügen.«
»Ich verstehe. Gibt es die Möglichkeit einer Fremdbeibringung?«
Gerhard Wüsten schien etwas einwenden zu wollen, aber
der Notarzt kam ihm zuvor.
»Sehr unwahrscheinlich. Sehen Sie hier, die Blutablaufspuren
verlaufen sehr gleichmäÃig und parallel zueinander, und zwar an der
Körpervorderseite. Das ist der typische Verlauf bei einer sitzenden Haltung.
Sollte Fremdeinwirken vorliegen, wären die Blutablaufspuren unregelmäÃig und
verschmiert. AuÃerdem gäbe es Nebenverletzungen und Kampfspuren. Hier sind aber
keinerlei Hinweise auf Gegenwehr.«
Wolfgang ging in die Hocke und betrachtete den Jungen.
»Natürlich kann Fremdeinwirken erst nach der Obduktion
ausgeschlossen werden. Aber ich würde wirklich nicht drauf wetten.«
»Wer war als Letzter in der Zelle?«, fragte Wolfgang.
»Das war ich.« Einer der Vollzugsbeamten trat vor. Er
wirkte völlig mitgenommen von den Ereignissen. »Ich habe ihn aus dem Waschraum
zurück in die Zelle begleitet. Das muss gegen halb sieben gewesen sein.«
Wolfgang deutete auf den Aluminiumfalz. »Dann hat er
das Tatwerkzeug aus dem Waschraum?«
Betretenes Schweigen. Wolfgang beschloss, nicht näher
darauf einzugehen. Der Vorfall würde später von einer anderen Stelle geprüft
werden.
Er betrachtete den leblosen, blutüberströmten Körper.
Der Junge war achtzehn Jahre alt gewesen. Sein Leben hatte gerade erst
begonnen. Wolfgang wollte nicht akzeptieren, was er
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