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Todesgarten

Todesgarten

Titel: Todesgarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Holtkötter
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Plastikzelt wirkten recht provisorisch, und Anna
fragte sich unwillkürlich, ob der Besitzer überhaupt eine Konzession besaß.
Wenn sein Stand illegal errichtet worden war, ging er ein ziemliches Risiko
ein, einen Steinwurf vom Ordnungsamt entfernt.
    Sie stellten den Streifenwagen vor dem transparenten
Zelt ab, schlugen die Plane zur Seite und traten ein. Grüner Kunstrasen bedeckte
den Boden, billige Stehtische standen herum. Ein paar ältere Männer tranken
Flaschenbier und stocherten in Currywürsten herum. Sie beäugten die Polizisten
misstrauisch. Hinter dem Tresen stand eine dicke Frau mit riesigem Busen. Sie
glotzte auf einen kleinen Fernseher, der neben den Soßen im Regal stand.
    Jürgen schien sich an der frostigen Atmosphäre nicht
zu stören. Er trat an den Tresen. Als die dicke Frau ihn bemerkte, legte sie
einen feindseligen Gesichtsausdruck auf und verschränkte ihre Arme. Jürgen
überblickte die Arbeitsflächen.
    Â»Wie machen Sie denn Ihre Currybouletten?«
    Â»Wieso wollen Sie das wissen? Hier ist alles in Ordnung!«
    Jürgen strahlte. »Na, die Soße sieht halt einfach
hervorragend aus. Die ist aus keinem Eimer, habe ich recht?«
    Ihr Gesicht veränderte sich schlagartig.
    Â»Natürlich nicht. Die mache ich selber. Dieser künstliche
Mist kommt mir nicht ins Haus.«
    Â»Na also.« Er wandte sich um. »Anna, hier sind wir
richtig!«
    Sie lächelte, und Jürgen gab ihre Bestellung auf. Während
er die Wirtin in ein Gespräch über Rezepturen verwickelte, sah Anna sich ein
wenig um. Ihr Blick blieb an dem kleinen Fernseher hängen. Da lief gerade die
Spätabendschau mit den Lokalnachrichten für Berlin.
    Â»â€¦Â der Regierende Bürgermeister hofft nun, in einem
Krisengespräch eine Einigung im Tarifstreit zu bekommen.«
    Die Nachrichtensprecherin sah auf. Eine blonde und
durchsetzungsstarke Frau im mittleren Alter, die Anna sich ebenso gut hinterm
Tresen einer Neuköllner Kneipe vorstellen konnte.
    Â»Der Mord an dem Homosexuellen Daniel Treczok, der im
Tiergarten erschlagen aufgefunden wurde, ist aufgeklärt«, fuhr sie fort. »Der
achtzehnjährige Dennis P. aus Wedding hat die Tat gestanden. Hintergrund ist
laut Aussage der Berliner Polizei Habgier und Schwulenhass. Die Staatsanwaltschaft
wird noch in dieser Woche Anklage erheben. Ebenfalls an der Tat beteiligt
waren …«
    Anna taumelte. Ein Gefühl, als stürzte sie in einen Abgrund.
Sie hielt sich an einem der Stehtische fest, atmete durch. Natürlich war dieser
Mord überall Thema gewesen. Sie selbst war sogar beim Sicherungsangriff dabei
gewesen. Trotzdem hatte sie die ganze Zeit über kein Bild von dem Toten
gesehen. Aber jetzt auf dem Bildschirm erkannte sie ihn sofort wieder. Daniel
Treczok. Sie hätte selbst drauf kommen müssen. Daniel, der Daniel. Der Barkeeper aus dem Kink Klub. Einer der engsten Arbeitskollegen von
Tom.

7
    Draußen ging ein Sommerregen nieder. Feuchte und duftende
Luft zog durchs offene Fenster herein.
    Michael musste geschlafen haben. Durch den schmalen
Spalt seiner Lider sah er die flimmernde Bildröhre. Das schwache Licht blendete
ihn, und die Stimmen aus dem laufenden Fernseher hinderten ihn daran, wieder
einzuschlafen, egal, wie leise sie waren.
    Das Beste wäre, das Gerät abzuschalten. Ein paar
Atemzüge noch, dann würde er sich aufsetzen und nach der Fernbedienung tasten.
Er betrachtete die Bilder im Fernsehen. Eine Frau sprach in die Kamera, ganz
ruhig und scheinbar ohne Emotionen. Ihr Gesicht war klug. Und schön. Aber sie
wirkte müde. Als koste es sie sehr viel Kraft, dazusitzen und zu reden.
    Er war viel zu müde, um sich auf den Inhalt ihrer
Worte zu konzentrieren. Dann war die Frau weg. Die Kamera zeigte einen Vorgarten,
in dem sich ein angelegter Teich befand, eine Terrasse mit Blumenkübeln und
Gartenstühlen war zu erkennen. Die Kamera zoomte auf den Teich, und plötzlich
drang die leise, aber eindringliche Stimme des Sprechers zu ihm durch.
    Â»Fünf Jahre alt waren die Zwillinge, als sie durch das
Loch im Gartenzaun kletterten und zum Nachbarn liefen. Für Sandra und Alex war
es ein Abenteuer, noch niemals hatten sie sich in den Garten des Nachbarn
gewagt. Doch der Teich wurde ihnen zum Verhängnis. Beim Spielen rutschten sie
ab und fielen hinein. Sie konnten beide nicht schwimmen. Sie hatten keine
Chance.«
    Michael lag noch immer reglos da.

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