Todesgarten
Schütz saà schweigend neben ihm. Er
starrte aus dem Fenster und schien mit den Gedanken weit weg zu sein. An der
Kreuzung kam ihnen ein vertraut wirkendes Auto entgegen. Das war einer ihrer
Dienstwagen. Michael erkannte Anke und Lohmann im Innern. Wieso fuhren die an
einem Samstag einen Einsatz? Es musste ein neuer Fall hereingekommen sein. Denn
nach dem Abschluss der Mordermittlung Treczok wären sonst ja nur noch die Altfälle
offen.
Ihn befiel der Impuls, zu hupen und auf sich aufmerksam
zu machen. Wann sah man sich in Berlin schon zufällig an einer StraÃenkreuzung?
Aber wie hätte er erklären sollen, dass Christoph Schütz neben ihm sa� Also verbarg
er stattdessen das Gesicht hinter seiner Hand. Ohne auf ihn aufmerksam zu werden,
bogen die Kollegen ab und beschleunigten das Tempo.
»Darf ich fragen, wie Sie heiÃen?«
»Wie bitte?«
Michael sah ihnen im Rückspiegel nach.
»Sie haben sich gar nicht vorgestellt. Sie sagten nur,
dass Sie von der Polizei sind.«
»Ach so. Mein Name ist Herzberger. Wolfgang Herzberger.«
Eine kleine Notlüge. Er wollte lieber auf Nummer sicher
gehen, solange er nicht wusste, was es mit dem Fund unter dem Lattenrost auf
sich hatte. Christoph Schütz verfiel wieder in Schweigen.
»Wissen Sie etwas über Daniels Angehörige?«, fragte Michael.
»Sie meinen seine biologische Familie?«
»Genau. Was ist mit denen?«
»Die meisten sind tot.«
»Ach so?«
»Es muss da noch einen Bruder geben. Aber er und Daniel
haben sich schon als Kinder aus den Augen verloren. Keine Ahnung, wo der jetzt
ist.«
Michael hatte Angst vor Christophs Antwort. Trotzdem
fragte er weiter. »Hat Daniel mal über diesen Bruder gesprochen?«
»Ja.« Ein kurzes spöttisches Lachen. »Das muss ein
ganz toller Typ sein. Zumindest wenn man das glaubt, was Daniel über ihn sagt.
Ein regelrechter Held.«
»Aber Sie glauben das nicht?«
»Ach was. Das waren Daniels Wunschvorstellungen. Das
brauchte er wohl, um sich besser zu fühlen. Wenn Sie mich fragen, ist dieser
Bruder einfach nur ein Arschloch.«
Michael lächelte. Das machte es einfacher, den Stich
zu ertragen. »Wieso glauben Sie das?«
»Der Typ müsste jetzt fast dreiÃig sein. Warum hat er
sich niemals auf die Suche nach Daniel begeben? Wenn Sie mich fragen, ist es
ganz einfach. Er hat sich nicht für ihn interessiert. Das war schon damals so,
als sie aus der Familie genommen wurden. Er war der Ãltere, aber als sie in
getrennte Pflegefamilien kamen, da hat er den Kontakt einschlafen lassen. Er
hat sich nicht um seinen kleinen Bruder gekümmert. Er ist einfach von der
Bildfläche verschwunden. Was ist das denn bitte für ein Held?«
»Vielleicht haben Sie recht.« Michael konzentrierte
sich auf den Verkehr. »Sagen Sie mir, wie ich fahren muss?«
Während der Fahrt wurde nicht mehr viel gesprochen.
Als sie Babelsberg erreichten, lotste Christoph Schütz ihn zu einem Parkplatz
vor einem alten und etwas verwunschen wirkenden Haus mit spitzen Giebeln und
verwitterten Dachschindeln. Es war umgeben von hohen Kiefern und Nusssträuchern.
Der Garten war riesengroÃ.
Christoph führte ihn über die Veranda in ein groÃes
Empfangszimmer. Ein dunkler Raum, von dem ein halbes Dutzend Türen abgingen.
Der Pendelschlag einer alten Wanduhr war zu hören, sonst blieb alles still.
»Ich sehe kurz in der Küche nach«, sagte Christoph.
»Bitte warten Sie so lange hier.«
Er öffnete eine der Türen. Warmes freundliches Licht
fiel in den Vorraum, und der Duft von gebackenem Brot wehte herein. Christoph
verschwand im Innern und schloss die Tür.
Diese merkwürdige Stille passte gar nicht zu dem, was
Christoph über diese Familie erzählt hatte. Vorsichtig trat Michael an die Küchentür
und lauschte. Stimmen waren gedämpft zu hören. Die von Christoph und die einer
Frau.
»Wo sind die anderen?«, fragte er.
»Wir brauchten alle eine Pause. Etwas Zeit zum Alleinsein.«
Die Stimme der Frau klang warm und herzlich. Aber es
war auch Trauer darin zu hören. Das musste Bärbel Neubauer sein.
»Ingrid ist rübergegangen, um ein bisschen zu
schlafen. Jens und Opa Günther sind spazieren. Und Björn ist oben in seinem
Zimmer. Er bleibt ein paar Tage. Hast du deine Sachen?«
»Bist du sicher, dass ich auch bleiben soll? Ich
gehöre doch nicht wirklich
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