Todesgarten
hatte. Für Stroh war das eine bizarre
Situation gewesen: ein bewusstloser Einbrecher neben der Tanzfläche, mit
schweiÃnasser Stirn und einem Jagdgewehr in den Armen. Er hatte Gefahr
gewittert und versucht, sich und seine Einnahmen in Sicherheit zu bringen. Mit
dem Geld war er durch den Hintereingang geflohen, wo Anke aufgetaucht war.
Bevor sie begriff, was geschah, hatte er sie schon überwältigt und
niedergeschlagen. Stroh konnte ja nicht ahnen, dass das die Polizei war, die
sein Gelände stürmte. SchlieÃlich wurde Stroh vom eintreffenden
Sondereinsatzkommando eingefangen.
Das alles hatte viel Zeit gekostet. Zeit, in der Bernd
Neubauer neben der Tanzfläche lag und um sein Leben kämpfte.
»Ihre schnelle Reaktion hat ihm das Leben gerettet.
Sie waren es doch, der ihn wiederbelebt hat, oder?«
»Schon. Aber â¦Â« Es war trotzdem zu viel Zeit vergangen.
»Egal. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, reicht es noch nicht für eine
Prognose?«
»Seine Chancen werden sich im Lauf der nächsten drei
Tage abzeichnen. Statistisch gesehen stirbt jeder Dritte bei so einem Infarkt.
Bei Männern stehen die Chancen sogar noch etwas schlechter als bei Frauen. Wir
müssen abwarten.«
»Nehmen wir an, die Prognose sieht in drei Tagen besser
aus. Wie lange dauert es dann noch, bis ich ihn vernehmen kann?«
Ihr Blick wurde kühl. »Sie wollen den Mann eines Verbrechens
überführen, richtig? Ganz unter uns, Herr Herzberger: Ich werde dafür sorgen,
dass der Oberarzt den Mann frühestens in vier Wochen zum Abschuss freigibt. Das
kriege ich hin. Vom Patienten muss jede inadäquate physische und psychische Belastung
ferngehalten werden.«
»Wer sagt Ihnen, dass ich ihn überführen will? Er könnte
einfach nur ein Zeuge sein.«
Sie lächelte. »Die Sanitäter sagten, sie mussten ihm
fast die Finger brechen, um sein Gewehr zu entfernen.«
»Also gut. Ich verstehe.«
»Tut mir leid. Nichts zu machen.«
Eine Schwester tauchte auf und rief den Namen der
Ãrztin. Dr. Oji legte die Krankenakte zurück auf den Stapel.
»Rufen Sie mich in ein paar Tagen an. Dann kann ich
mehr sagen.« Sie wandte sich ab und ging zu der Schwester.
»Ach, Dr. Oji?«
Sie drehte sich um.
»Bevor ich wieder stundenlang herumirre: Wo finde ich
denn die Neurologie? Eine Kollegin von mir liegt dort.«
»Im Bettenturm. Achtzehntes bis zwanzigstes Stockwerk.
Fragen Sie in der Anmeldung nach dem Namen.«
Mit schnellen Schritten ging Dr. Oji durch die Glasschleuse,
hinter der die Operationssäle lagen. Kurz darauf war sie verschwunden.
Â
Michael hatte einen kleinen Strauà weiÃer Nelken
gekauft und mithilfe einer Krankenschwester aus einem Schrank voller Vasen eine
passende herausgesucht. Jetzt stellte er sie auf Ankes Nachttisch und setzte
sich neben sie auf den Matratzenrand.
Anke thronte regungslos auf ihrem Bett. Den Blick hatte
sie starr geradeaus gerichtet. Sie trug eine riesige Halskrause, die jede
Kopfbewegung beinahe unmöglich machte, und an der Stirn klebte ein Verband, der
die Platzwunde bedeckte, die mit drei Stichen genäht worden war. Unterhalb des
Mulls waren schmutzig blaue und grüne Flecken zu sehen, die sich über die
gesamte Gesichtshälfte zogen. Alles in allem kein schöner Anblick.
»Und wie geht es dir?«, fragte er unbeholfen.
Sie bewegte lediglich ihre Augen. Er konnte jedoch
keinen Vorwurf darin erkennen. Nur Erschöpfung.
»Es tut mir leid, was passiert ist. Es war ja auch
meine Schuld.«
Sie schloss die Augen, sagte aber nichts.
»Der Arzt meint, du kannst morgen nach Hause gehen. Du
bist nur zur Beobachtung hier. Ist wohl normal bei einer Gehirnerschütterung.«
»Stimmt.«
Wieder Stille.
»Ehrlich gesagt siehst du nicht so aus, als müsstest
du nur vorsichtshalber hier bleiben.«
»Ach was. Es geht mir schon wieder ganz gut. Mir ist
nur noch ein bisschen schwindelig.«
Michael hatte von dem Einsatz nichts mitbekommen. Er
war in seinem Versteck auf dem Dachboden der Pension geblieben. Seine
Informationen waren daher eher dürftig.
»Wie geht es Stroh?«, fragte er. »Hat er überlebt?«
»Alles in Ordnung. Sie haben ihn zur Befragung ins
Büro gebracht. Neubauer hatte einen Herzinfarkt. Er liegt auf der Intensivstation.«
»Dann hat er also gar nicht geschossen?«
»Nein. Hat er nicht.« Sie versuchte zu
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