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Todesgarten

Todesgarten

Titel: Todesgarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Holtkötter
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lächeln. »Aber
das macht nichts. Es ist alles in Ordnung, Michael. Du brauchst dir keine Vorwürfe
zu machen.«
    Â»Ich dachte, dieser Stroh wäre in Lebensgefahr. Ich
dachte, jede Sekunde zählt.«
    Â»Ist doch jetzt nicht so wichtig. Es gibt was ganz anderes,
was du mir erklären musst.«
    Natürlich. Sie wollte wissen, weshalb er in der
Pension war. Was er mit der ganzen Sache zu tun hatte. Er zögerte. Anke war
bereit gewesen, viel für ihn zu riskieren. Sie hätte es verdient, dass er ihr
gegenüber ehrlich war.
    Â»Es geht gar nicht um einen entfernten Verwandten,
oder?«, sagte sie. »Deshalb warst du nicht in der Pension.«
    Â»Ich erkläre es dir ein anderes Mal. Jetzt ist kein
guter Zeitpunkt.«
    Mit starrem Hals drehte sie ihm den Oberkörper zu. Die
Müdigkeit war verschwunden, stattdessen flackerte Wut in ihren Augen auf.
    Â»Du sagst mir jetzt, was los ist! Sonst …« Sie
schluckte ihren Ärger herunter.
    Er stand auf und ging zum Fenster. Unter ihm lag die
Notaufnahme. Menschen wuselten herum, Krankenwagen, ein Rollstuhlfahrer, Fahrräder.
Eine Zwergenwelt.
    Â»Michael. Ich habe ein Recht darauf, die Wahrheit zu
erfahren.«
    Die Wahrheit. Er hob den Blick und sah in den Himmel.
    Â»Ich habe dir erzählt, dass meine Eltern bei einem Verkehrsunfall
ums Leben gekommen sind. Weißt du noch?«
    Â»Ja, natürlich.«
    Er wandte sich um. Sie saß da und betrachtete ihn aufmerksam.
Es wurde still. Die Bilder von damals brachen hervor, er konnte nichts dagegen
unternehmen.
    Er hockte zusammengekauert unterm Küchentisch, die
Knie an seine Brust gedrückt. Über ihm im Raum erklangen die Schreie seiner
Mutter. Eine Spinne lief an den Wandfliesen hoch. Ganz langsam und gleichmäßig
bewegte sie sich. Seine Mutter hörte gar nicht auf zu schreien, mit jedem
Schlag des Vaters wurde sie lauter. Er raste vor Wut. Er war blitzschnell,
seine Fäuste überall. In ihren Schreien lag mehr Panik als Schmerz. Die Spinne
blieb stehen, wechselte die Richtung und lief dann weiter. Er wusste nicht, was
er tun sollte. Auf dem Fußboden lag ein verbrannter Toast. Er musste ihr doch
helfen.
    Â»Ich hab dir nicht die Wahrheit gesagt. Es hat keinen
Autounfall gegeben.«
    Das Geräusch, als ihre Halswirbel brachen, würde er
nie vergessen. Sein Vater hatte sie gegen das Spülbecken geschleudert, und sie
war mit dem Nacken gegen die Kante geschlagen. Das Geräusch unterschied sich
von allen bisherigen Schlägen. Es unterschied sich von allem, was er je in
seinem Leben gehört hatte. Danach waren die Schreie verstummt. Für immer.
    Anke sagte nichts. Sie wartete. Er atmete tief durch.
Es ging nicht, er konnte es ihr nicht sagen. Er nahm einen weiteren Anlauf,
doch vergebens. Er würde es für sich behalten. Zum Glück gab es noch die Lüge,
die er extra für diesen Fall vorbereitet hatte.
    Â»Weißt du, mit Bernd Neubauer ist es nämlich so …«
    Weiter kam er nicht. Es klopfte an der Zimmertür, und
im nächsten Moment stand Wolfgang im Raum. Als er Michael entdeckte, trat ein
skeptischer Ausdruck in sein Gesicht. Dann sah er zu Anke und begrüßte sie mit
einem unterkühlten Nicken.
    Â»Gute Neuigkeiten sprechen sich also schnell herum«,
sagte er mit Blick auf Michael.
    Â»Lohmann hat mich angerufen. Er dachte, ich hab eh
nichts vor in meinem Urlaub. Da könnte ich Anke ein bisschen Gesellschaft
leisten, damit ihr nicht langweilig wird.«
    Â»So, so.« Sein Blick fiel wieder auf Anke. »Und wie
geht es meiner GSG 9-Beamtin?«
    Seinem Tonfall war nicht zu entnehmen, wie wütend er
war. »Es geht schon. Danke.«
    Schweigen.
    Â»Ich kann mich an die letzten Minuten nicht mehr erinnern,
Wolfgang. Wenn du sauer auf mich bist, musst du mir zuerst erklären, weshalb.«
    Seine Stirnfalten glätteten sich. Da war beinahe so etwas
wie ein Lächeln. »Gar nicht dumm. Das hätte ich an deiner Stelle auch gesagt.«
    So unschuldig, wie sie ihn ansah, konnte es sich nur
um eine Lüge handeln.
    Â»Na ja, es ist jetzt wohl nicht mehr zu ändern«,
meinte Wolfgang. »Hauptsache, du wirst wieder gesund. Wie geht es dir denn
heute?«
    Michael nahm seine Jacke vom Stuhl. Der Zeitpunkt war vorüber.
Einen Moment lang hatte er wirklich geglaubt, Anke etwas von seiner
Vergangenheit erzählen zu können. Er war kurz davor gewesen. Aber sie würde
nichts von

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