Todesgott
bestimmt nicht stillstehen, wenn man bedenkt, wie sehr sich sein Gesicht entspannt, als der Köter ihn mit Gebell und hechelnder Zunge begrüßt.
»Papa lädt Mama und Snúlli in den Bautinn zum Essen ein«, teilt die Frau hinter ihrem
Morgenboten
allen mit, die es hören wollen. »Snúlli bekommt auch ein Leckerchen!«
»Hat Sjón 2 was über die Frau gebracht?«, frage ich Jóa.
»Kein Wort«, antwortet sie und wirft belustigt einen Blick auf Hund und Herrchen.
»Danke für den Hinweis«, sage ich zu Ásbjörn, der gerade die Hundeleine vom Tischbein losmacht. »Woher wusstest du davon?«
»Ich hab meine Kontakte«, entgegnet er etwas großspurig.
Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass Karólína die Zeitung beiseitegelegt hat und uns verwundert anschaut. Über ihre Ehe weiß ich nicht viel, außer dass sie kinderlos ist. Ich kenne Ásbjörns Frau kaum, habe ihr bei Betriebsfesten in Reykjavík nur die Hand geschüttelt, sofern ich dazu noch in der Lage war. Sie ist, wie ihr Mann und ich, Ende dreißig. Ihre tiefe Stimme passt nicht zu ihrem Äußeren. Karólína ist groß, war immer gertenschlank und ist nur um die Taille herum ein bisschen fülliger geworden. Mit ihrem dünnen Hals und ihrer gebogenen Nase erinnert sie ein wenig an einen Vogel. Ihr hübsches Gesicht wird von schulterlangem, glattem, leicht ergrautem Haar eingerahmt. Karólína wirkte auf mich schon immer sehr angespannt.
Nachdem sich die glückliche Familie von uns verabschiedet hat, sage ich Jóa Bescheid, dass ich kurz mit dem neuen Ressortleiter sprechen muss. Sie brummelt zustimmend und schaltet zu den Abendnachrichten im Ersten Programm.
Mein Büro ist eine Art überdimensionierter Schrank. Obwohl ich es erst seit einer knappen Woche zur Verfügung habe, wirkt es schon gemütlich. Die drei Regale an der einen Wand sind mit Tageszeitungen, Büchern, Unterlagen, CD - ROM s, alten Notizbüchern und allem möglichen Krempel vollgestopft.
Mein vergilbtes Pappschild mit der Aufschrift »Ein aufgeräumter Schreibtisch ist ein Zeichen krankhafter Gesinnung« hängt an der anderen Wand neben einer alten Fotografie der Fischerboote im Hafen von Akureyri. Diese hing schon vorher dort und ist, neben dem Giebel des Nachbarhauses, der Ausblick, der sich mir bietet.
Ich entdecke das Telefon unter einem Stapel Papiere auf dem Schreibtisch und wähle Traustis Nummer. Er schlemmt bestimmt gerade irgendwo mit seinen High-Society-Gönnern.
»Trausti.« Seine Antwort ist von Gläserklirren und Stimmengewirr unterlegt.
»Hier ist Einar«, sage ich und zünde mir eine Zigarette an. »Hab gehört, du willst mit mir sprechen.«
»Grüß dich, mein Freund«, sagt der Ressortleiter.
Das ist eine dieser Anreden, die ich einfach nicht ausstehen kann.
Ich sehe den Meister vor mir: eleganter Anzug, Rotwein und Rindersteak in einer leichten Cognacsoße, sonnengebräunt wie ein frischbemaltes Osterei. Welche Lebensweisheit sich wohl in diesem Ei verbirgt? Vielleicht unser altes Motto, das die Umwälzungen und Fusionen beim
Abendblatt
überlebt hat und von Ásbjörn auf einem gewaltigen Schild über dem Eingang unserer Niederlassung angebracht wurde: »Die Wahrheit schreibt die besten Geschichten«?
Traustis kraftvolle und, nach Meinung vieler Fernsehzuschauer, vertrauenerweckende Stimme dringt durch den Hörer: »Hör zu, du fährst morgen früh mit Jóa ins Ostland nach Reyðargerði. Da war gestern Abend und die ganze Nacht die Hölle los. Wird heute Abend wohl nicht anders sein. Kann jederzeit wieder hochkochen. Unruhen in Reyðargerði und so.«
»Meinst du eine der üblichen Schlägereien? Trausti, das sind stinknormale isländische Wochenendbesäufnisse. Die gibt’s seit der Besiedlung des Landes.«
»Nein, das stimmt nicht. Es handelt sich um Auseinandersetzungen zwischen Isländern und Immigranten. Wenn du den Unterschied nicht kapierst, hast du den falschen Job, mein Freund.«
Obwohl ich das starke Bedürfnis habe, in den Hörer zu fluchen, reiße ich mich zusammen. Tote Gegenstände können schließlich auch nichts dafür. »Vielleicht ist dir nicht bekannt, dass früher alle Isländer Immigranten waren«, sage ich mit eiskalter Höflichkeit. »Du stammst doch selbst von ehemaligen Einwanderern ab. Oder woher kommt der Name Löve? Was ist denn da der Unterschied, den ich angeblich nicht verstehe?«
Kurzes Schweigen. Entweder verdaut er die Frage noch, oder er hat ein Stück Steak im Mund. »Der Unterschied ist«, sagt er dann, »dass das eine die
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