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Todesinstinkt

Todesinstinkt

Titel: Todesinstinkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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schilderte diese Patientin, eine attraktive Frau von ungefähr vierzig Jahren, einen Traum der letzten Nacht. Sie war im Bois de Boulogne. Ein ihr bekanntes Paar legte sich in ein Doppelbett auf dem grünen Gras bei einem See. Das war alles, sonst nichts. Was hat dieser Traum Ihrer Meinung nach zu bedeuten, Mademoiselle Rousseau?«
    »Ich weiß es nicht. Haben Träume denn eine Bedeutung?«
    »Selbstverständlich. Ich teilte ihr mit, dass sie Zeugin einer sexuellen Begegnung – vielleicht nicht nur einer – geworden war, die sie nicht hätte sehen dürfen, und zwar als kleines Kind, wahrscheinlich im Alter zwischen drei und fünf. Sie hielt das für völlig ausgeschlossen, da sie ohne Mutter aufgewachsen war. Aber natürlich hatte sie Kindermädchen gehabt. Dann fiel ihr ein, dass ihr erstes Kindermädchen die Familie plötzlich verlassen hatte, als sie fünf war. Den Grund hatte sie nie erfahren. Ich machte sie darauf aufmerksam, dass sich ihr Traum wahrscheinlich um dieses Kindermädchen drehte. Also fragte sie zu Hause nach. Bei allen, auch den langjährigen Bediensteten. Alle bestritten, dass vor dem Abschied des Dienstmädchens etwas Ungehöriges vorgefallen war, und sie erklärte mir, dass
ich mich getäuscht haben musste. Dann aber hatte sie wieder einen Traum, in dem genau dieses Dienstmädchen vorkam, nur mit dem Gesicht eines Pferds. Ich erklärte ihr, wofür das stand. Vielleicht wissen Sie, Younger, was dieser zweite Traum symbolisierte?«
    »Nein«, antwortete Younger.
    »Nein? In diesem Fall könnten Sie Mademoiselle Rousseau zumindest schildern, wie ich ihn deuten würde.«
    »Ich glaube nicht, dass es sich hier um ein angemessenes Thema handelt.«
    »Für mich?«, warf Colette in scharfem Ton ein.
    »Wenn Mademoiselle Rousseau in die Behandlung ihres Bruders einwilligt, sollte sie da nicht wissen, worauf sie sich einlässt?«
    »Na schön.« Younger lenkte ein. »Zunächst würde Dr. Freud davon ausgehen, dass das pferdeartige Gesicht des Dienstmädchens ein Beispiel für Verdichtung ist. Es steht sowohl für das Dienstmädchen als auch für den Mann, mit dem sie geschlafen hat.«
    »Sehr gut«, Freud schien ehrlich erfreut. »Und wer war dieser Mann?«
    »Der Vater der Patientin war Reiter, wie ich annehme?«
    »Nein.« Freud verriet nichts.
    »Hat sie ihn mit Pferden assoziiert?«
    »Meines Wissens nicht.«
    Younger zögerte. »Aber in dem Haus wurden Pferde gehalten? «
    »Sie hatten einen Stall für die Kutschen.«
    Younger musste nicht lange überlegen. »In diesem Fall haben Sie wohl Ihrer Ansicht Ausdruck verliehen, dass das Kindermädchen mit jemandem geschlafen hat, der mit den
Pferden zu tun hatte, der aber auch irgendwie mit dem Vater in Verbindung stand.«
    »Hervorragend!«, rief Freud. »Ich habe ihr gesagt, dass ihr Kindermädchen aller Wahrscheinlichkeit nach ein Verhältnis mit dem Stallburschen hatte, der tatsächlich auch mit dem Vater verwandt war. Allerdings hatte sie schon mit dem Stallburschen gesprochen, und er hatte ihr versichert, dass sich das Dienstmädchen nichts zuschulden hatte kommen lassen. Ich habe ihr nahegelegt, ihn noch einmal zu befragen.«
    »Und? Hat sie es getan?«, fragte Colette.
    »In der Tat«, erwiderte Freud. »Sie hat ihm auf den Kopf zugesagt, dass sie von seiner Affäre mit dem Kindermädchen weiß. Daraufhin hat er alles gestanden. Sie trafen sich immer im Stall. Das Dienstmädchen gab meiner Patientin einen Sirup, von dem sie schläfrig wurde. Sie legten sie in ein Heubett und gingen dann ihrem Vergnügen nach. Übrigens hat der Stallbursche hinzugefügt, dass das Dienstmädchen sehr heißblütig war – dass er wahrhaftig Angst hatte, sie könnte vor Lust sterben. Die Affäre begann, als meine Patientin drei war. Als sie fünf war, wurde das Paar ertappt und das Dienstmädchen entlassen.«
    »Das ist ja unglaublich.« Colette erschauerte. »Vraiment incroyable.«
    »Gut gemacht, mein Junge.« Freud tat so, als wäre die Lösung des Rätsels Youngers Verdienst. Er stand auf, um anzudeuten, dass das Gespräch zu Ende war. »Sie beide müssen uns heute unbedingt zum Abendessen Gesellschaft leisten. Meine Frau Martha besteht darauf. Bringen Sie auch Ihren Bruder mit, Fräulein. Dann bekomme ich ein besseres Gespür dafür, wie ich vorgehen kann.«

    Colette nahm die Einladung dankend an.
    »Dr. Freud«, sagte Younger, »könnte ich Sie kurz unter vier Augen sprechen?«
    »Ich wollte Sie gerade um das Gleiche bitten. Bitte entschuldigen Sie uns fünf

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