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Todesinstinkt

Todesinstinkt

Titel: Todesinstinkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Soldaten einen Besuch abstatten.«
    »Aber das geht nicht. Ich kann kein Deutsch. Und wo soll ich denn wohnen? Nicht einmal die Fahrkarten kann ich mir leisten.«
    »Ich spreche Deutsch«, antwortete er.
    »Sie würden mitkommen?«
    »Nur, wenn Sie nicht auf mich schießen.«
    Zu seiner Überraschung fiel sie ihm um den Hals. Er hatte den Eindruck, dass sie weinte.
     
    J immy Littlemore nahm die Füße vom Küchentisch. Er streckte den gesunden Arm nach der Whiskeyflasche aus und schenkte beiden nach. »Das kapier ich nicht, Doc. Zuerst vergewaltigen Sie sie praktisch ...«
    »Unsinn.«
    »Sie haben ihre Bluse aufgeknöpft. Was für eine Frau lässt so was mit sich machen?«
    Younger vertiefte sich in die herbstliche Farbe des Bourbon. »Im Krieg gelten andere Regeln.«
    »Da war sie anscheinend anderer Meinung. Was mir an ihr gefällt, ist, dass sie genau weiß, was sie will. Sie möchte ihre Sauerbohne, und das schafft sie auch.«
    »Pardon?«
    »Na, diese Schule, die Sauerbohne. Wegen ihrem Dad will sie da unbedingt hin. Mir geht es mit Washington genauso. Mein Dad hat seine einzige Chance bei der Bundespolizei verpasst. Als Teddy Roosevelt nach Washington gegangen ist, hätte ihn mein Dad begleiten können. Er war der beste
Cop von New York, aber er hatte Familie, Kinder — Sie wissen schon. So eine Chance kriege ich wahrscheinlich nie, aber wenn doch, dann wäre er mächtig stolz auf mich, das können Sie mir glauben. Und wann haben Sie rausgefunden, dass ihr Soldatenjunge nicht tot war?«
    Youngers Glas erstarrte auf halbem Weg zum Mund. »Woher wissen Sie das?«
    »Die Hundemarke.« Littlemore gestikulierte. »Sie geht in ein deutsches Militärbüro, um einen toten Soldaten aufzuspüren, und da lässt sie seine Marke zu Hause in Frankreich? Das kann mir keiner weismachen. Ich glaube, sie hat die Marke überhaupt nicht. Und aus welchem Grund? Weil er nicht tot ist.«
    »Ich hab ja immer gesagt, Sie hätten Detektiv werden sollen.«
    »Sie ist in den Kerl verknallt, oder? Wollte nicht, dass Sie es erfahren?«
    Younger ließ sich Zeit. »Sie liebt ihn, ihren Hans. Wollen Sie wissen, was in Wien passiert ist?«
    »Bin ganz Ohr.«

7
    K eine Stadt der Erde hatte sich durch den Großen Krieg so sehr verändert wie Wien.
    Nicht äußerlich. Wien wurde nie besetzt oder mit Granaten beworfen wie Paris. Kein einziger Stein bekam eine Schramme ab. Was der Krieg erschüttert hatte, war die Seele Wiens und seine Stellung in der Welt.
    Noch im Frühjahr 1914 war Wien die Sonne, um die sich eine Galaxie von fünfzig Millionen Untertanen Dutzender verschiedener Sprachgemeinschaften drehte, die alle Kaiser Franz Joseph und dem Haus Habsburg treu ergeben waren. Wien war reich, und seine Angelegenheiten waren von Belang für die Welt. Fünf Jahre später war es eine unbedeutende Stadt in einem unbedeutenden Land mit einem flüchtigen Kaiser und einem zerstörten Imperium, geschlossenen Fabriken, hungernden und frierenden Einwohnern und von jahrelanger Unterernährung gezeichneten Kindern.
    So sahen sich die Besucher der Stadt im März 1919 mit einer Vielzahl widersprüchlicher Eindrücke konfrontiert. Nachdem sie am Bahnhof in eine Kutsche gestiegen waren – einen eleganten Zweispänner –, erblickten Younger, Colette und Luc bei Sonnenaufgang ein Wien, das scheinbar nichts von seinem Glanz verloren hatte. Die majestätische Ringstraße um die Altstadt präsentierte die gleiche Fassade von Unbezwingbarkeit wie vor dem Krieg. Die breite Prachtavenue
bediente sich großzügig und ohne besondere Rücksicht auf Stimmigkeit beim gesamten architektonischen Kanon des Abendlands. Nachdem sie an einem übergroßen, strahlend weißen Parthenon vorbeigetrabt waren, passierte ihr Fiaker eine dunkle gotische Kathedrale und einen Neorenaissancepalast mit zahlreichen Flügeln. Der erste Bau war das Parlament, der zweite das Rathaus und der dritte die weltberühmte Universität. Selbst die geringeren Gebäude an der Ringstraße wären anderswo Schlösser gewesen.
    Die Gestalten, die hier ihren Morgenspaziergang machten, waren zwar modisch gekleidet, besaßen aber nicht das imperiale Flair der Gebäude. Viele Männer waren verstümmelt; überall waren Krücken, hängende Ärmel und Augenklappen zu sehen. Doch auch die Unversehrten strahlten Leere aus. Etwas ab vom Ring, in den kleineren Gassen standen Hunderte von Kindern an, um Lebensmittelpakete zu ergattern. Einmal bemerkten Colette und Younger, wie eine solche Gruppe von Kindern wild

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