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Todesinstinkt

Todesinstinkt

Titel: Todesinstinkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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nicht, dass Sie mich begleiten. Sie haben mir sowieso schon viel zu viel Zeit geopfert.«
     
    A ls sie am Abend zusammensaßen, wandte sich Freud an Colette. »Ihr Bruder spielt oft ein bestimmtes Spiel mit einer Angelspule und einem Bindfaden, Fräulein. Dabei gibt er auch Laute von sich. Eine Art Ohh und Ahh. Wissen Sie, was er da sagt?«
    »Nur Unsinn. Hat das Spiel etwas zu bedeuten?«
    »Auf jeden Fall zumindest, dass seinen Stimmbändern nichts fehlt.«
    »Dass er das Spiel immer wieder spielt, ist das sehr schlimm?«, fragte Colette.
    »Es ist interessant.«
     
    D as feuchte Kopfsteinpflaster schimmerte matt im frühen Sonnenlicht, als Freud am nächsten Morgen seinen Hund ausführte. An der Hand hielt er den Jungen. Ihre Unterhaltung gestaltete sich recht einseitig. Freundlich plaudernd erzählte Freud auf Französisch Sagen aus der griechischen und ägyptischen Mythologie. Luc lauschte gespannt, ohne zu antworten.
    In einem kleinen dreieckigen Park trafen sie auf eine Menschenmenge, die einen zuckenden Mann auf dem Gras umringte. Er trug saubere, wenngleich geflickte und leicht
verschlissene Arbeiterkleidung. Seine Mütze, die ihm anscheinend zu Beginn des Anfalls vom Kopf geglitten war, lag neben der sich windenden Gestalt.
    »Wenn du jetzt mit meiner Frau und ihrer Schwester unterwegs wärst«, bemerkte Freud leise zu dem Jungen, »dann würden sie dir bestimmt die Hand vor die Augen halten. Soll ich dir die Hand vor die Augen halten?«
    Luc schüttelte den Kopf. Ihm war nichts von dem Entsetzen anzumerken, das normalerweise bei Kindern im Angesicht von Krankheiten zu beobachten ist. Einige Leute hatten Mitleid mit dem Epileptiker und warfen Münzen in seine Mütze. Nach einer Weile führte Freud den Jungen weiter.
    Lucs Miene wirkte nachdenklich. Schließlich zog er an Freuds Hand und schaute mit einem fragenden Ausdruck in den Augen zu ihm auf.
    »Was ist?«
    Der Kleine zog erneut.
    »So geht das nicht, junger Mann. Ich kann dir nichts erklären, wenn ich nicht weiß, was dich beschäftigt.«
    Luc wandte den Blick ab, dann starrte er den Psychologen wieder an. Schließlich kehrte er seine Taschen nach außen.
    Freud beobachtete ihn und kraulte den Hund an den Ohren. Endlich begriff er. »Du willst wissen, warum ich dem Mann kein Geld gegeben habe?«
    Luc nickte.
    »Weil er nicht gut genug gespielt hat«, erwiderte Freud.
     
    A llein in der Wiener Altstadt, stieß Younger auf einen Markt mit gut gefüllten Ständen. Da es offensichtlich war, dass Freud für Lucs Behandlung kein Geld annehmen wollte,
ließ er eine Sendung an die Berggasse 19 zusammenstellen: frisches Obst und Blumen, Milch, Eier, Hühner, Wurstketten, Schokolade und dazu mehrere Konserven.
    Er selbst blieb den Freuds den ganzen Tag fern. Zum einen, weil er sich mehrere düstere alte Kirchen ansehen wollte. Zum anderen, weil Colette ihm etwas verheimlichte.
     
    M ademoiselle Rousseau«, fragte Freud am Abend, »wurde in Ihrer Familie zufällig auch Deutsch gesprochen?«
    Freud hatte mit seinen Patienten gesprochen, seine Korrespondenz erledigt, den Entwürfen zu zwei Abhandlungen Notizen hinzugefügt und anscheinend dennoch Zeit gefunden, sich um Luc zu kümmern. Er stand in der Tür zur Küche, wo Colette dem Hausmädchen half.
    »Wir haben natürlich Französisch geredet«, antwortete sie.
    »Kein Wort Deutsch? Vielleicht als Sie noch ein Kind waren?«
    »Großmutter war Österreicherin, sie konnte Deutsch.« Colette lächelte. »Sie hat immer ein Spiel auf Deutsch mit uns gespielt, als wir noch ganz klein waren. Sie hat ihr Gesicht hinter den Händen versteckt und fort gesagt, dann hat sie das Gesicht wieder gezeigt und da gesagt.«
    »Fort und da, interessant.«
    Colette spülte Geschirr.
    »Sie wirken so grüblerisch, Fräulein.«
    »Es ist nichts.« Sie blickte nicht von ihrer Arbeit auf. »Ich würde nur gern Deutsch können.«
    »Wenn Ihre Geheimnisse etwas mit Ihrem Bruder zu tun haben, Fräulein Rousseau, dann wüsste ich gern darüber Bescheid. Ansonsten möchte ich nicht aufdringlich sein.«

    U m halb zwölf am Donnerstagvormittag erwachte das an einer malerischen, gewundenen Gasse im ältesten Viertel Wiens gelegene Gasthaus Drei Husaren zum Leben. Läden schwenkten zurück, Fenster öffneten sich, die Eingangstür wurde aufgesperrt, und ein schwarz-weiß gekleideter Kellner mit Schürze trat heraus, um den Gehsteig zu fegen. Eine hübsche, schüchtern lächelnde Französin sprach den Mann an und wurde höflich ins Lokal

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