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Todesinstinkt

Todesinstinkt

Titel: Todesinstinkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Selbsttäuschung?«
    »Zur Kriegsneurose. Haben Sie im Krieg Granatenschock behandelt?«
    »Nein, ich habe ihn nur beobachtet.«
    »Sind Ihnen auch Fälle begegnet, in denen die Symptome des Patienten einem traumatischen Erlebnis entsprachen?«
    »Zweimal. Wir hatten einen Mann mit einem zwanghaften Zwinkern; wie sich herausgestellt hat, hatte er einem Deutschen das Bajonett ins Auge gestochen. Bei einem anderen war die Hand gelähmt. Er hatte aus Versehen eine Granate auf seine Kameraden geworfen.«
    »Ja, solche Fälle bilden natürlich Ausnahmen, sind aber trotzdem erhellend. Sie bringen all meine früheren Theorien ins Wanken.«
    »Ins Wanken?« Younger stutzte. »Im Gegenteil, sie beweisen Ihre Theorien.«
    »Das sagen alle. Die ganze Welt respektiert auf einmal die Psychoanalytiker, weil wir die Einzigen sind, die den Granatenschock erklären können. Verstehen Sie mich nicht falsch: Die Anerkennung nehme ich gern entgegen.
Aber es ist schon paradox, dass ich ausgerechnet aufgrund der einen Sache akzeptiert werde, die mich widerlegt.«
    »Da kann ich Ihnen nicht ganz folgen«, wandte Younger ein. »Wenn die Granatenschockopfer verdrängte Erinnerungen ausleben, dann ist das doch sicher eine Bestätigung Ihrer Theorie.«
    »Natürlich«, erwiderte Freud. »Aber ich rede vom Inhalt des Unbewussten. Kriegsneurosen widersprechen meinen Theorien, weil das Moment der Lust fehlt. Darauf wollte ich hinaus.«
    Younger überlegte. »Keine Sexualität?«
    »Ich habe ja gesagt, dass Sie sich freuen werden. Es fällt mir schwer, meinen Irrtum einzugestehen, aber wenn die Tatsachen nicht der Theorie entsprechen, hat man wohl keine andere Wahl. Kriegsneurotiker verhalten sich wie Masochisten, da sie ständig ihre schlimmsten Alpträume heraufbeschwören, allerdings ohne entsprechenden sexuellen Lustgewinn. Vielleicht wollen sie damit ihre Angst lindern. Oder – wahrscheinlicher — einen Weg finden, sie zu beherrschen. Wenn ja, dann schlägt diese Strategie fehl. Aber ich vermute, dass hier noch ein anderer Faktor wirkt. Ich spüre es bei Mademoiselle Rousseaus Bruder. Ich weiß noch nicht, was es ist. Schade, dass er nicht spricht. Etwas Dunkles, fast Unheimliches ist da im Spiel. Ich kann es nicht sehen, aber hören. Ich höre es als Stimme.«
     
    J immy Littlemore drehte sein Glas, aber es war leer. Er wollte nachschenken, doch auch in der Flasche war nichts mehr. Auf den Fensterscheiben lag der erste Schimmer des Tageslichts. »Okay. Was ist als Nächstes passiert?«

    »Das war alles. Am nächsten Tag bin ich abgereist. Nach Indien.«
    »Indien?«
    »Bin fast ein Jahr dort geblieben.«
    Littlemore studierte sein Gesicht. »Sie kommen nicht von ihr los, hm?«
    Younger blieb ihm die Antwort schuldig. Indien hatte ihn zugleich abgestoßen und fasziniert. Obwohl er sich immer wieder vorgenommen hatte, das Land zu verlassen, harrte er Monat um Monat in der glühenden Hitze aus und wunderte sich über die schlangenköpfigen Männer von Benares, über den Schmutz des Ganges, in dem sich die Einheimischen reinigten, nachdem sie darin die Leichen ihrer Verwandten gewaschen hatten, über die Harmonie der großen Paläste und Grabstätten. Er wusste, dass er nur blieb, weil ihn in Indien nichts an Colette erinnerte, anders als in Europa oder Amerika. Aber irgendwann musste er beim Anblick indischer Frauen doch wieder an Colette denken.
    »Wir sollten vielleicht zu Kaffee übergehen.« Littlemore trat an den Herd und setzte mit dem gesunden Arm einen Perkolator auf. »Was ist mit der Miss passiert?«
    »Sie hat mir geschrieben. Als ich zurück nach London kam, erwartete mich ein Brief. Sie hatte ihn vergangenes Weihnachten geschickt. Offenbar hat sie Wien verlassen, ohne ihren Verlobten im Gefängnis zu besuchen. Sie hat sich mit Freud unterhalten und es sich anders überlegt. Ist nach Paris zurückgekehrt und hat ein halbes Jahr am Radiuminstitut gearbeitet, bevor die Sorbonne sie endlich angenommen hat. Sie machte gerade ihren Abschluss und hat mich gefragt, ob ich sie nicht besuchen will.«
    »Was haben Sie ihr geantwortet?«

    »Gar nichts.«
    »Wirklich schlau.«
    Nach längerem Schweigen redete Younger weiter. »Waren Sie schon mal so weit mit einer Frau, dass Sie nicht mehr die Augen schließen konnten, ohne sie vor sich zu sehen? Tag und Nacht, im Wachen und im Schlafen? Dass Sie an nichts denken konnten, ohne gleichzeitig an sie zu denken?«
    »Nein.«
    »Ich kann es auch nicht empfehlen.«
    »Warum haben Sie ihr nicht

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