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Todesinstinkt

Todesinstinkt

Titel: Todesinstinkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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der Psychoanalyse ja passieren. Wenn Sie mir nicht glauben, können Sie Freud fragen.«
    »Natürlich glaube ich Ihnen.«
    »Die Notizbücher haben genau festgehalten, was bei jeder Sitzung geschehen ist: die Äußerungen der Patientinnen, meine inneren Reaktionen darauf und so weiter.«
    »Und so weiter?«
    »Ja.«
    »Sie haben Ihre Patientinnen gemocht? Und das in Ihren Büchern notiert?«
    »Eine von ihnen. Sie hieß Rachel.«
    »Rachel. War sie hübsch?«
    »Ihre Figur war wie Ihre«, antwortete Younger. »Ja, sie war hübsch.«
    »Wollte sie mit Ihnen schlafen?«
    »Sicher.«

    »Sie meinen, Sie haben mit ihr gemacht, was Sie mit mir machen wollten – und sie hat es zugelassen?«
    Younger schaute Colette nur an.
    »Das soll kein Vorwurf sein. Eine hübsche junge Frau, die jeden Tag in Ihre Praxis kommt, sich auf die Couch legt und Ihnen ihre Geheimnisse erzählt ... Wenn ich ein Mann wäre, hätte ich das sehr verlockend gefunden.«
    »Viele Analytiker schlafen mit ihren Patientinnen. Freud nicht. Und ich auch nicht.«
    »Mit Nora schon«, wandte Colette ein.
    »Erst nachdem ich sie geheiratet habe. Und sie war eigentlich auch nicht meine Patientin.«
    »Ich verstehe. Sie haben nichts mit Rachel angefangen, sondern lediglich in Ihrem Notizbuch erwähnt, dass Sie sie anziehend finden. Deswegen haben Sie nicht verstanden, warum Ihre Frau böse auf Sie war.«
    »Stimmt genau.«
    »Nun, das war sehr dumm von Ihnen.«
    »Wirklich? Wenn Frauen erwarten, dass sich ihre Männer nie im Leben von einer anderen angezogen fühlen, dann sind es nicht die Männer, die sich dumm benehmen.«
    »Was haben Sie zu Nora gesagt?«
    »Ich habe sie getadelt, weil sie meine vertraulichen Notizen gelesen hat. Das war schon wieder ein Fehler. Sie hat mich beschuldigt, dass ich ihr meine ›Abenteuer‹ verheimlichen will, und sich eine komplizierte Theorie ausgedacht, derzufolge das Gebot der Vertraulichkeit in der Psychoanalyse nur den Zweck hat, dass Ärzte Affären mit ihren Patientinnen haben können. Nach einer gewissen Zeit ist kein Abend mehr ohne einen Hinweis auf meine ›Abenteuer‹ vergangen. Sie fand mich abstoßend und herzlos.
Und feige. Dann fing sie an, mit Sachen um sich zu werfen. Erst an die Wand, später nach mir.«
    »Und Sie waren wie Stein – teilnahmslos.«
    »Mehr oder weniger.«
    »Das hat sie bestimmt noch mehr aufgebracht.«
    »Ja. Sie hat angefangen, mich zu schlagen. Und zu treten. Zumindest hat sie es versucht.«
    »Wie haben Sie reagiert?«
    »Nun, sie war jung und hatte alptraumhafte Erlebnisse hinter sich. Außerdem war sie sehr schmächtig. Ich fand es fast rührend, wenn sie versucht hat, mich zu schlagen. Also habe ich es über mich ergehen lassen und meine Wut unterdrückt. Wahrscheinlich wusste ich gar nicht, wie sehr ich mich dabei beherrschen musste.«
    Younger stockte kurz, ehe er fortfuhr. »Als ich eines Abends nach Hause kam, lag ein antiker Drehspiegel, ein Hochzeitsgeschenk meiner Tante, in Scherben auf dem Wohnzimmerboden. Wie sich herausstellte, hatte ihn Nora absichtlich zerbrochen. An diesem Abend hat sie stärker getobt als je zuvor. Sie hat mich mit der Faust getroffen, und schließlich habe ich ihr mit dem Handrücken ins Gesicht geschlagen – stärker als beabsichtigt. Sie ist auf den Boden gefallen. Dann hat sie sich zu meiner Überraschung entschuldigt. Das erste Mal überhaupt, dass sie sich entschuldigt hat. Sie hat sich für ihre Dummheit gescholten, meine Güte gepriesen und mir ihre unsterbliche Liebe geschworen. Sie ist mir um den Hals gefallen und hat mich um Verzeihung gebeten. Dann hat sie geweint. Ich dachte, dass wir es endlich hinter uns hätten.
    Stattdessen war es der Beginn von einem wiederkehrenden Muster. Der Streit ging wieder los und hat sich immer
mehr gesteigert, bis es zu Handgreiflichkeiten kam. Eigentlich war es so, dass sie nach mir geschlagen hat, bis ich ihr eine Ohrfeige versetzt habe. Dann war sie besänftigt und hat um Verzeihung gebeten. Aber am merkwürdigsten war die Entdeckung, dass ich den schlimmsten Auswüchsen unserer Auseinandersetzungen vorbeugen konnte: Ich musste nur, äh, direkt zum Ende des Musters in unserem Intimleben voranschreiten.«
    »Das verstehe ich nicht«, bekannte Colette.
    »Sicher, und ich werde es auch nicht erklären. Aber es hat funktioniert. Zumindest eine Weile. Nicht sehr lang. Dann bekam Nora in aller Öffentlichkeit — auf der Straße, im Theater, irgendwo – Wutanfälle und hat mir vorgeworfen, dass ich andere

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