Todeskind: Thriller (German Edition)
Hügel.
Verdammt! Wut kochte in ihm auf, erzeugte frische Energie, und bevor er sich daran hindern konnte, hatte er schon den Rucksack von sich geschleudert.
Der Wutausbruch war genauso schnell vorbei, wie er gekommen war. Seine Schultern sackten nach vorn. Seine Augen brannten. Nein. Wütend unterdrückte er die aufsteigenden Tränen. Tränen machten das Gesicht nass.
Das war saublöd, du dämlicher Idiot. Der Rucksack war neben der Straße gelandet. Nun musste er durch die Schneewehe latschen, um an seinen Kram zu kommen. Im Rucksack war immerhin noch ein Streifen Trockenfleisch. Und die Tasche des Mädchens.
Heather. Die klare Sicht kehrte zurück und damit auch seine Entschlossenheit. Das Mädchen mochte noch leben. Kim mochte noch leben. Du bald aber nicht mehr, wenn du nicht deinen Hintern bewegst.
Weiter, los. Einen Fuß vor den anderen. Mit einer Grimasse bereitete er sich auf den nächsten Schritt, auf den Schmerz vor, als er das Bein anhob. Und dann hörte er es. Ford verharrte, hatte Angst zu hoffen. Aber doch – da war es, hinter ihm.
Motorengeräusch. Ein Auto kam. Danke, lieber Gott. Oh, danke.
Schwerfällig drehte er sich um. Scheinwerfer. Danke. Die Lichter kamen näher, wurden größer und verschwammen, als sich seine Augen wieder mit Tränen füllten. Dieses Mal ließ er sie laufen. Sein Gesicht brannte, aber es kümmerte ihn nicht.
Endlich. Beeil dich. Bitte, komm schnell.
Er hob den Arm und winkte, als der Wagen näher kam.
Kein einfacher Wagen. Ein Transporter. Das Fahrzeug drosselte das Tempo und hielt an.
Die Lichter blendeten ihn, und er schirmte seine Augen mit dem Unterarm ab. Die Autotür ging auf, jemand stieg aus. Ford konnte kaum etwas erkennen. Das Licht war zu grell.
»Hal-« Es kam nur ein Krächzen. Er räusperte sich. »Hallo.«
Ein scharfes Krachen zerfetzte die Luft. Etwas drang in sein Bein.
»Nein!«, brüllte er, und dann gab es nur noch Schmerz. Nicht schon wieder. Er sank auf die Knie. Nicht wieder. Fiel mit dem Gesicht in den Schnee. Nur Zentimeter vor seinen Augen sah er Schuhe und spürte die Last in seinem Rücken. Ein Knie.
Wehr dich, verdammt. Wehr dich. Aber die Leitung zwischen Hirn und Muskeln war unterbrochen.
Eine Hand zerrte an seinem Kragen, und schon drang die Nadel in seinen Hals. Ford roch das Aftershave, das er schon kannte. Er war es. Er war zurückgekommen. Warmer Atem glitt über sein Ohr, und er wusste genau, was nun kam.
Nein. Nicht schon wieder! Bitte nicht!
»Ich bin wieder da«, schnurrte die Stimme. »Hast du mich vermisst?«
Es geschah wieder. Und es gab nichts, was er dagegen tun konnte.
Baltimore, Maryland
Dienstag, 3. Dezember, 23.50 Uhr
Joseph folgte seinem Vater in die Küche, als er hinter sich eine verzagte Stimme seinen Namen rufen hörte. Er blickte hinauf zum Treppenabsatz und lächelte.
»Holly-Maus«, sagte er zärtlich.
Sie trug einen flauschigen Bademantel und rosafarbene Pantoffeln. Mit unsicherem Blick tappte sie die Treppe herunter. »Bleibst du heute Nacht hier?« Unten angekommen, blickte sie zu ihm auf. Holly war keine eins fünfzig groß, daher musste sie oft aufschauen.
»Jep.«
»Schön. Dann mache ich dir Frühstück.«
»Das wär toll. Dad macht mir gerade Abendessen.«
»Aber es ist doch fast Mitternacht. Es ist nicht gesund, so spät noch zu essen.«
»Ich hatte heute schrecklich viel zu tun.«
»Ich weiß. Es geht um Ford. Ich wollte eigentlich Daphne anrufen, aber ich weiß ja, dass sie auch viel zu tun hat.«
»Soll ich ihr etwas von dir ausrichten?«
»Nimm sie einfach nur in den Arm und sag ihr, dass es von mir kommt, ja?«, sagte sie und lächelte flüchtig. »Joseph. Bist du sauer auf mich?«
»Du meinst wegen der Sache auf dem Sofa? Nein, Quatsch.«
»Weil es nämlich ganz normal ist, wenn Paare sich küssen. Sogar du küsst ab und zu ein Mädchen.«
Die Erinnerung an den Kuss von vorhin kam mit Wucht zurück, und seine Wangen wurden warm. »Ab und zu.«
Holly grinste erfreut. »Du wirst rot, Joseph.«
»Okay, kann sein. Vielleicht hab ich mich bei deiner Röte von vorhin angesteckt. Wenn ich mich recht erinnere, hattest du sonst nichts an.«
Sie verdrehte die Augen zur Decke. »Joseph.«
»Mom sagt, dass er dir die alles entscheidende Frage stellen will.«
Ihr Kinn hob sich ganz leicht. »Und du findest das nicht richtig.«
»Das hab ich nicht gesagt. Ich würde ihn gerne mal kennenlernen – und ich bemühe mich auch, ihn nicht umzubringen«, fügte er widerstrebend
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