Todeskind: Thriller (German Edition)
einfach nicht auf.« Sorin sah ihn eindringlich an, dann hielt er ihm die Hand hin. »Machen Sie es gut, Clay Maynard.«
Clay nahm die Hand. »Sie auch. Ihre Eltern haben meine Handynummer und E-Mail-Adresse. Können Sie mich wissen lassen, falls sie etwas braucht?«
»Etwas anderes als einen Tritt in den Hintern, meinen Sie? Klar.« Und damit trat er zurück und ließ Clay durch. Zum Glück waren Stevies Eltern nicht mehr im Wartezimmer. Hoffentlich waren sie nach Hause gefahren, um sich auszuruhen.
Was ich jetzt auch tun werde. Nach Hause fahren. Aber nicht, um mich auszuruhen. Ford wurde immer noch vermisst.
Er hatte noch keine Zeit gehabt, mit den MacGregors zu sprechen. Vielleicht schaffte er es morgen, erneut nach Philadelphia zu fahren. Ein Morgen gab es immer. Glaubte Stevie zumindest. Sie glaubt, dass ihr unbegrenzt Zeit zur Verfügung steht, dachte er verbittert. Aber sie täuscht sich.
14. Kapitel
Dienstag, 3. Dezember, 23.30 Uhr
Joseph parkte in der Auffahrt seiner Eltern hinter dem Streifenwagen, der dort nach der Schießerei bei Gericht postiert worden war. Er hatte den ganzen Tag noch nicht nach seinen Eltern gesehen, also zeigte er dem Officer seine Marke, schloss auf und wurde sofort von einem tiefen Grollen begrüßt.
»Oh, Herrgott noch mal«, murmelte er. »Ich bin’s, Patty.« Er schaltete das Licht im Foyer an, und das Grollen hörte augenblicklich auf. Der ausgewachsene Rottweiler sprang an ihm hoch, um ihn zu begrüßen. »Nein«, sagte er scharf und drückte den Hund runter. »Du könntest von Tasha eine Menge lernen.«
Er hängte seinen Mantel über das Geländer, durchquerte das Wohnzimmer zur Küche und blieb wie angewurzelt stehen.
Er war sich nicht sicher, was er sah. Nicht weil es im Zimmer dunkel war, sondern weil … na ja. Sein Verstand registrierte die Männer-Nikes auf dem Boden neben einem weißen Spitzen-BH, bevor der Kopf seiner kleinen Schwester über die Rückenlehne des Sofas spähte. In der Hand hielt sie eine Boxershorts.
Oh. Mein. Gott. Er wirbelte herum und kniff die Augen zu. »Holly?«
»Joseph?«, sagte Holly zögernd. »Ich wusste nicht, dass du kommen würdest.«
»Offensichtlich nicht.« Er schüttelte den Kopf in der Hoffnung, wieder loszuwerden, was er gerade gesehen hatte. Hilfe, man bringe mir einen Augenreiniger!, wie Daphne es so schön ausgedrückt hatte. »Wer ist das?«
»Er heißt Dillon. Wir haben uns im Familienzentrum getroffen. Sag hallo, Dillon.«
»Hi«, quiekte Dillon, dann räusperte er sich. »Hi«, wiederholte er mit tieferer Stimme, die trotzdem ein bisschen zitterte. »Bringt er mich jetzt um?«, fügte er flüsternd hinzu.
Joseph rieb sich die pochenden Schläfen. »Kommt drauf an. Ist das hier … gegenseitiges Einvernehmen?« Die letzten beiden Worte hatte er regelrecht rausgewürgt.
»Natürlich. Ich bin achtundzwanzig, Joseph. Ich bin kein kleines Kind mehr, also reg dich ab.«
Holly glaubte, sein Beschützerdrang sei stärker als normal, weil sie das Downsyndrom hatte, aber das entsprach nicht der Wahrheit. Er war auch bei seinen anderen Schwestern so. Doch Holly war verwundbarer, selbst wenn sie das nicht einsehen wollte.
Er dachte an den BH und die Boxershorts. Dies war eine Situation, mit der seine Mutter vermutlich einfühlsamer umgehen konnte. Er selbst hätte den Kerl am liebsten erwürgt.
»Zieh dir einfach was an, ja? Bitte.« Er verließ das Wohnzimmer und ging zum Arbeitszimmer seines Vaters, wo er Licht unter der Tür sah. Er klopfte, wartete aber nicht auf eine Antwort, sondern trat ein. »Dad, hast du Mom gesehen? Sie muss unbedingt … Oh, verflucht!« Zum zweiten Mal in den vergangenen drei Minuten wirbelte er herum und kniff die Augen zu. »Das kann doch nicht wahr sein.«
Ja, sein Vater hatte seine Mutter gesehen. Und ich jetzt auch.
»Gott hat die Türen aus einem bestimmten Grund erfunden, Joseph«, sagte seine Mutter ungeduldig.
»Man könnte auch auf das ›Herein‹ warten, nachdem man geklopft hat«, fügte sein Vater säuerlich hinzu.
Joseph hörte Reißverschlüsse, die zugezogen wurden, und hätte sich am liebsten die Finger in die Ohren gesteckt. »Was ist denn los mit euch, Leute? Steht dieses Haus irgendwie unter einem Sex-Bann?«
»Wovon redest du?«, fragte sein Vater gereizt.
»Ich habe gerade Holly und einen Kerl namens Dillon auf der Couch erwischt. Ihr müsst was unternehmen.«
»Sie ist achtundzwanzig, Joseph«, sagte seine Mutter. »Du kannst dich jetzt wieder
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